Übergewicht und Gewichtsmanagement

Krankheitsbild

Übergewicht (BMI ≥25 kg/m²) und Adipositas (BMI ≥30 kg/m²) sind chronisch verlaufende, multifaktoriell bedingte Erkrankungen, die mit einem erhöhten Risiko für Folgestörungen wie Typ-2-Diabetes, arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, koronare Herzkrankheit und bestimmte Tumoren einhergehen. Entscheidende Kriterien zur Einordnung sind neben dem BMI auch die Fettverteilung (z. B. erhöhtes Risiko bei abdominaler Adipositas; Taillenumfang!) und das Vorhandensein von Begleiterkrankungen. Für Kinder und Jugendliche werden alters- und geschlechtsabhängige Perzentilen genutzt.

Leitsymptome sind eine über das gesunde Maß hinausgehende Gewichtszunahme, häufig in Verbindung mit Einschränkungen der Beweglichkeit sowie psychosozialen Belastungen. Die Ursachen liegen meist in einer länger bestehenden positiven Energiebilanz (zu hohe Kalorienzufuhr, geringe körperliche Aktivität), können aber auch durch Medikamente (z. B. bestimmte Antidepressiva, Glucocorticoide) oder sekundäre Erkrankungen (z. B. Hypothyreose) getriggert werden.

Die Therapie zielt in der Selbstmedikation in erster Linie auf eine langfristige, moderat erreichbare Gewichtsreduktion, Verbesserung des Gesundheitsverhaltens und die Vermeidung von Risikofolgen ab. Kurzfristige Radikalkuren sind nicht nachhaltig und erhöhen die Gefahr des Jo-Jo-Effekts. Die Selbstmedikation grenzt sich klar von der ärztlichen Therapie ab, die insbesondere bei erheblichem Übergewicht, Komorbiditäten oder Therapieresistenz eingeleitet werden muss.

Pharmazeutische Anamnese

Wichtige Abklärungsfragen im Beratungsgespräch beziehen sich v. a. auf arzneimittelrelevante Aspekte:

  • Wie hoch ist das aktuelle Gewicht und der ungefähre BMI? Seit wann besteht das Übergewicht und wie war die Gewichtsentwicklung?
  • Gibt es vorangegangene, ggf. erfolglose Diätversuche? Wurde bereits ärztlicher Rat eingeholt?
  • Sind relevante Vorerkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, Schilddrüsenerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychiatrische Erkrankungen bekannt?
  • Kommen typische Begleiterscheinungen hinzu (Atemnot, Gelenkschmerzen, Schlafapnoe, depressive Symptomatik)?
  • Wie ist die aktuelle Medikation, inklusive Selbstmedikation und Nahrungsergänzungsmittel?
  • Liegen Schwangerschaft, Stillzeit oder Besonderheiten wie Essstörungen, Altersextreme (Kind, Senior) vor?
  • Welche Motivation besteht für eine Lebensstilveränderung? Gibt es konkrete Zielvorstellungen?

Die systematische Erfassung dieser Punkte steuert, ob und in welchem Rahmen Maßnahmen der Selbstmedikation empfehlenswert sind und ob eine ärztliche Abklärung erforderlich ist.

Nichtmedikamentöse Basismaßnahmen

Im Mittelpunkt stehen Lebensstilmaßnahmen, die immer Grundvoraussetzung für jede Gewichtsintervention sind:

  • Ernährung: Kalorienreduktion, Fokus auf energiedichte, ballaststoffreiche Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkornprodukte; Reduktion von Zucker, fettreichen Speisen und Alkohol.
  • Bewegung: Steigerung der täglichen Aktivitäten (z. B. Spazierengehen, Radfahren, Treppen steigen); mindestens 150 Minuten überwiegend ausdauerorientierte Aktivität pro Woche, ggf. gelenkschonende Sportarten.
  • Verhalten: Selbstbeobachtung durch Ernährungs- und Bewegungsprotokolle, regelmäßige Gewichtskontrolle, Nutzung von Gruppen- oder Onlineprogrammen.
  • Weitere Tipps: Langsames, bewusstes Essen, keine extremen Diäten, Rückfallprophylaxe durch realistische Zielplanung und Belohnungssysteme.
  • Flüssigkeit: Ausreichende Zufuhr, Verzicht auf kalorienreiche Getränke.
  • Schlaf und Stressmanagement: Ausgewogener Schlaf-Wach-Rhythmus und Stressabbau tragen maßgeblich zum Erfolg bei.

Arzneimittel

Wirkmechanismus

Das zentrale arzneilich eingesetzte Präparat in der Selbstmedikation ist Orlistat in niedriger Dosierung (60 mg). Orlistat blockiert selektiv und reversibel die pankreatische Lipase im Dünndarm, sodass Nahrungsfette aus der Kost nicht gespalten werden. Hierdurch werden etwa 25 % der aufgenommenen Fette unverändert ausgeschieden. Die Folge ist eine reduzierte Kalorienaufnahme – die Wirkung ist rein peripher im Darm lokalisiert.

Die Arzneimitteltherapie unterstützt ausschließlich die Lebensstilmodifikation und hat ihren Stellenwert als flankierende Maßnahme bei Erwachsenen mit Übergewicht, wenn eine kalorien- und fettreduzierte Ernährung und Bewegungssteigerung bereits erfolgen.

Arzneistoffe

  • Orlistat (60 mg): In Deutschland als rezeptfreies Arzneimittel zur Verfügung; Tabletten oder Kapseln, jeweils zu den drei Hauptmahlzeiten einzunehmen.
  • Quellstoffe/Ballaststoffe: Produkte mit Glucomannan, Flohsamen o. ä. werden zur Förderung des Sättigungsgefühls verwendet, besitzen jedoch keinen garantierten Einfluss auf die Fettmasse.
  • Sonstige/Oft nachgefragte Mittel: Nahrungsergänzungen, „Fatburner“ (z. B. Grüntee-Extrakte, L-Carnitin), Schlankheitstees – Evidenz für eine nachhaltige andauernde Gewichtsreduktion fehlt; Nebenwirkungen und Risiken (wie Koffeinüberdosierung oder Elektrolytverschiebungen) sollten angesprochen werden.

Beratung

  • Orlistat 60 mg:
    • Einnahme jeweils kurz vor, während oder bis zu 1 Std. nach den drei Hauptmahlzeiten, die Fett enthalten.
    • Nichteinnahme, wenn eine Mahlzeit entfällt oder völlig fettfrei ist.
    • Therapie sollte nur im Rahmen einer kalorien- und fettreduzierten Ernährung erfolgen; ohne Diätmaßnahmen ist die Wirkung sehr gering.
    • Beginn der Wirkung kurzfristig.
    • Typische Nebenwirkungen: Fettige, breiige Stühle (Steatorrhö), Flatulenz, imperativer Stuhldrang, teilweise Stuhlschmieren; Symptome nehmen bei hoher Fettzufuhr deutlich zu („Lerneffekt“ für fettarme Ernährung).
    • Mögliche Resorptionsminderung von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K): evtl. zusätzliche Vitaminzufuhr notwendig, mit zeitlichem Abstand einnehmen.
    • Arzneimittelwechselwirkungen: Vorsicht bei gleichzeitig eingenommenen Antikoagulanzien (z. B. Vitamin-K-Antagonisten), Ciclosporin, Levothyroxin – hier ggf. ärztliche Kontrolle und zeitversetzte Einnahme notwendig.
    • Kontraindikationen: Malabsorptionssyndrom, Cholestase, Schwangerschaft, Stillzeit, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
    • Keine Anwendung bei Kindern und Jugendlichen.
    • Therapiedauer: Abbruch, wenn nach 12 Wochen keine Gewichtsreduktion von mindestens 5 % des Ausgangsgewichts erreicht wurde.
  • Quellstoffe und Ballaststoffe:
    • Können die Sättigung fördern, sollten mit viel Flüssigkeit eingenommen werden.
    • Vorsicht bei Schluckbeschwerden, Stenosen oder unzureichender Flüssigkeitsaufnahme.
    • Keine nachhaltige Wirkung auf die Gewichtsreduktion nachgewiesen, unterstützend als Bestandteil eines „gesunden Lebensstils“.
  • Weitere beworbene Produkte:
    • Betone, dass kein Nahrungsergänzungsmittel ohne erhebliche Lebensstilumstellung zu relevanter oder andauernder Gewichtsabnahme führt.
    • Bei Produkten mit Koffein/Guarana u. ä.: Risiko für Unruhe, kardiale Nebenwirkungen, Schlechteffekt auf Schlaf; bei Entwässerungsmitteln droht lediglich kurzfristiger Wasserverlust.
  • Hinweise für besondere Personengruppen:
    • Schwangere, Stillende und Jugendliche: keine Selbstmedikation!
    • Ältere und Patienten mit Multimedikation: Interaktionen prüfen!
TipBeratungsgespräch grundlegend führen
  • Motivation und realistische Ziele gemeinsam erarbeiten, keine kurzfristigen Erfolge versprechen
  • Eine begleitende Ernährungsberatung oder Teilnahme an strukturierten Programmen vermitteln

Ab wann zum Arzt?

  • Gewichtsanstieg ohne erklärbare Ursache (z. B. keine veränderte Ernährung, keine Bewegungseinschränkung)
  • Rasche oder übermäßige Gewichtszunahme innerhalb weniger Wochen (z. B. >3 kg/Woche)
  • Begleitende Symptome: Ödeme, Atemnot, Schmerzen, depressive Verstimmung, schwerer Leistungsabfall
  • Verdacht auf sekundäre Ursachen: z. B. Schilddrüsenunterfunktion, Cushing-Syndrom, Schwangerschaft
  • Kinder und Jugendliche mit Übergewicht: grundsätzlich immer ärztliche Abklärung, keine Selbstmedikation!
  • Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypertonie, Fettstoffwechselstörungen, kardiale oder psychiatrische Erkrankungen: ärztliche Kontrolle notwendig.
  • Keine Gewichtsabnahme nach 12 Wochen Orlistat-Anwendung (5 % Reduktion nicht erreicht)
  • Nebenwirkungen, die außerhalb der typischen gastrointestinalen Beschwerden liegen, oder schwerwiegende Beschwerden.
  • Essstörungen, Verdacht auf Bulimie/Anorexie.

Zusammenfassung

Symptomatik Relevante Wirkstoffklassen Wichtige Hinweise zur Beratung
Übergewicht, BMI ≥25 Lipasehemmer (Orlistat 60 mg) Nur zusammen mit Diät/Bewegung; NW: Steatorrhö, Flatulenz, reduzierte Resorption fettlöslicher Vitamine; KI: SS, Stillzeit, Malabsorption, Interaktionspotenzial; Absetzen bei Effektlosigkeit
Quellstoffe, Ballaststoffe Viel trinken, eher unterstützend für Sättigungsgefühl, keine eigenständige Wirkung zu erwarten
sonstige Produkte (Tees, NEM, Fatburner) Nutzen i. d. R. nicht nachgewiesen, Risiko für NW (Koffein, Diuretika)
Leitsymptome: Langsamer, nachhaltiger Gewichtsverlust als Ziel, primär durch Basismaßnahmen („Lifestyle first“)
- Gewichtszunahme Ärztliche Abklärung bei Red Flags, Kindern/Jugendlichen, Komorbidität oder Therapieversagen
- Bewegungsmangel Individuell beraten, auf Rückfälle und Realismus achten
- evtl. Folgeerkrank. Komedikation und Risiken prüfen, ggf. Vitaminzufuhr anpassen

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