Allergische Hautreaktionen / Urtikaria (Nesselsucht)

Krankheitsbild

Allergische Hautreaktionen, insbesondere die Urtikaria (Nesselsucht), sind meist plötzlich auftretende, scharf begrenzte Quaddeln – also flüchtige, oft juckende, gerötete Hautschwellungen. Sie entstehen durch die Freisetzung von Histamin aus Mastzellen und lösen einen intensiven Juckreiz sowie Rötung aus. Häufig tritt die Urtikaria akut auf und heilt binnen Stunden bis Tagen wieder ab. Seltener, aber relevant für die Praxis, ist die chronische Urtikaria, bei der Beschwerden länger als sechs Wochen bestehen oder immer wiederkehren.

Zentrale Auslöser sind vielfältig: - IgE-vermittelte allergische Reaktionen (z. B. auf Nahrungsmittel, Medikamente, Insekten, Tierhaare) - Pseudoallergien (nicht-immunologisch, z. B. durch bestimmte Medikamente oder Nahrungsmittelzusatzstoffe) - Physikalische Reize: Wärme, Kälte, Druck, Sonnenlicht - Infektionen oder Autoimmunprozesse (vor allem bei chronischen Verläufen) - Auslöser bleiben oft unbekannt

Pathogenetisch führt die Aktivierung von Mastzellen zur Freisetzung von Entzündungsmediatoren, allen voran Histamin. Dies verursacht eine örtliche Gefäßerweiterung, Austritt von Flüssigkeit ins Gewebe (Quaddeln) und ausgeprägten Juckreiz. Selten treten tiefere Schwellungen (Angioödem) vor allem im Bereich von Lippen, Augen oder Rachen auf – eine potenziell lebensbedrohliche Situation!

Ziel der Selbstmedikation ist die rasche, effektive Symptomlinderung (Quaddeln, Juckreiz), Unterstützung der Selbstheilung und eine fundierte Abgrenzung gegenüber bedrohlichen oder nicht selbsttherapierbaren Formen.

Eine Selbstmedikation kann nur die Symptome abfangen und ist NUR für unkomplizierte, akute Verläufe ohne Systembeteiligung und ohne Angioödem geeignet.

Pharmazeutische Anamnese

In der Offizin steht eine gezielte Anamnese im Vordergrund, die sich konsequent an den Arzneimitteloptionen und dem Risiko für gefährliche Verläufe orientiert:

  • Art der Beschwerden: plötzliche Quaddeln, starker Juckreiz, Dauer (akut/kürzlich aufgetreten vs. wiederholend/lang anhaltend)
  • Schweregrad: ausgedehnt oder lokal begrenzt, subjektive Belastung
  • Begleitsymptome: Angioödem (Schwellung v.a. an Lippen, Lidern, Zunge), Atembeschwerden, Schluckstörungen, Kreislaufsymptome (Schwindel, Tachykardie)
  • Vorerkrankungen: Allergien, Asthma, Herzerkrankungen, bekannte Autoimmunerkrankungen
  • Schwangerschaft, Stillzeit, Alter des Patienten
  • Bisherige Selbstmedikation oder ärztliche Therapie, bekannte Unverträglichkeiten auf Arzneistoffe oder Kosmetika
  • Aktuelle Medikation: insbesondere Medikamente, die Urtikaria auslösen können (NSAR, ACE-Hemmer, Antibiotika, etc.)

Diese Abklärung bildet die Entscheidungsgrundlage für eine sichere Arzneimittelabgabe und hilft, Risiken und Notfälle frühzeitig zu erkennen.

Nichtmedikamentöse Basismaßnahmen

  • Möglichst alle vermuteten Auslöser identifizieren und vermeiden (z. B. neue Kosmetika, Nahrungsmittel, Medikamente, physikalische Reize)
  • Kühlen der Haut (feuchte Umschläge, wirkstofffreie Kühlgels)
  • Vermeidung von Kratzen (verstärkt Juckreiz, Risiko von Hautinfektionen steigt)
  • Lockere, nicht-kratzende Kleidung tragen
  • Übermäßige Wärme, heiße Duschen, Alkohol vermeiden
  • Hygienemaßnahmen zur Vorbeugung von Sekundärinfektionen

Nichtmedikamentöse Maßnahmen stehen ergänzend zur Arzneimitteltherapie und lindern milde Beschwerden oft bereits spürbar.

Arzneimittel

H1-Antihistaminika (vorzugsweise der neueren Generation)

Wirkmechanismus

H1-Antihistaminika blockieren kompetitiv die Histamin-H1-Rezeptoren und verhindern so, dass Histamin die Gefäßpermeabilität und Nervenreizung auslöst. Durch diese Blockade werden Quaddelbildung und Juckreiz bekämpft. Antihistaminika der neueren Generation (z. B. Loratadin, Cetirizin) wirken gezielter und haben weniger sedierende sowie anticholinerge Nebenwirkungen als ältere Präparate. Sie gelten als die Mittel der ersten Wahl bei Urtikaria.

Arzneistoffe

Geeignete Wirkstoffe: - Loratadin - Desloratadin - Cetirizin - Levocetirizin

Typische Darreichungsformen: Tabletten, zum Teil Sirup für Kinder

Ältere Antihistaminika (z. B. Dimetinden) können stärker sedieren, zeigen mehr anticholinerge Nebenwirkungen und werden heute für die Routinebehandlung kaum empfohlen.

Beratung

  • Anwendung: Meist 1x täglich, unabhängig von den Mahlzeiten; Dosierung je nach Alter und Präparat beachten.
  • Wirkungseintritt: innerhalb von 30 bis 60 Minuten; Wirkung hält bis zu 24 Stunden an
  • Nebenwirkungen: Moderne Präparate verursachen selten Sedierung, gelegentlich Kopfschmerzen, Mundtrockenheit oder gastrointestinale Beschwerden. Ältere Präparate (z. B. Dimetinden) machen häufiger müde, verursachen Mundtrockenheit, Sehstörungen oder Harnverhalt.
  • Kontraindikationen: Bekannte Überempfindlichkeit; bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion Vorsicht (evtl. Dosisanpassung erforderlich).
  • Interaktionen: Alkohol kann die sedierende Wirkung verstärken, insbesondere zu Therapiebeginn Warnung vor Fahrtüchtigkeit!
  • Schwangerschaft/Stillzeit: Loratadin und Cetirizin sind in Rücksprache mit dem Arzt während Schwangerschaft und Stillzeit möglich, aber immer individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.
  • Kinder: Alters- und gewichtsabhängige Dosierung genau beachten.
  • Wichtiger Tipp: Nicht ohne Rücksprache höher dosieren als in der Packungsbeilage empfohlen!

Glucocorticoide (topisch, als Ausnahme)

Wirkmechanismus

Topische Glucocorticoide hemmen Entzündungsprozesse über zahlreiche Wege, unter anderem durch Unterdrückung proinflammatorischer Zytokine, und mindern so Schwellung, Juckreiz und Rötung. Sie sind in der Selbstmedikation nur für begrenzte, akute und leichte Beschwerden als kurzfristige Ergänzung zugelassen.

Arzneistoffe

  • Hydrocortison (meist als Creme, 0,5-1%)

Einsatz nur kurzzeitig und ausschließlich auf kleinen Hautarealen.

Beratung

  • Anwendung: Dünn auf die betroffenen Stellen, maximal 1–2x täglich für wenige Tage; nicht unter Okklusion, nicht auf größere Flächen oder offene Wunden
  • Wirkungseintritt: rasch, meist innerhalb von Stunden
  • Nebenwirkungen: Hautatrophie, Striae bei langem oder flächigem Gebrauch, Sekundärinfektionen
  • Kontraindikationen: Infizierte/bakterielle, virale oder mykotische Hautveränderungen, großflächige Läsionen, Gesicht, Genital- oder Schleimhautbereiche
  • Kinder, Schwangere, Stillende: Zusätzliche Vorsicht, möglichst immer ärztliche Rücksprache
  • Hinweis: Bei fehlender Besserung innerhalb weniger Tage zum Arzt!

Lokale Juckreizstiller/Adjuvantien

Wirkmechanismus

Produkte mit Polidocanol haben lokal-anästhesierende und juckreizstillende Effekte, wirken aber nicht auf die Ursache (Histaminfreisetzung) selbst. Kühlende Lotionen oder Gele unterstützen die subjektive Beschwerdelinderung.

Arzneistoffe

  • Polidocanol in Lotionen und Gelen
  • Kühlende, wirkstofffreie Lotionen/Gele

Beratung

  • Anwendung: Lokal auf die betroffene Region, nach Bedarf
  • Wirkung: Linderung des Juckreizes, aber keine ursächliche Therapie
  • Nebenwirkungen: Selten Kontaktallergien, Sensibilisierung oder Phototoxizität
  • Hinweis: Keine Anwendung auf verletzte oder infizierte Hautareale; nicht als alleinige Behandlung bei ausgedehnter Ausprägung
TipHinweis zu nicht empfohlenen Therapien

Orale Cromoglicinsäure und Calciumsalze sind bei Urtikaria klinisch nicht wirksam und werden daher nicht empfohlen.

Ab wann zum Arzt?

  • Warnzeichen und Alarmsymptome: Schwellung im Gesicht oder an den Schleimhäuten (Angioödem), Atemnot, Schluckstörungen, Heiserkeit, Kreislaufprobleme (Schwindel, Tachykardie, Blutdruckabfall)
  • Zeitliche Kriterien: Keine wesentliche Besserung nach spätestens einer Woche; tägliches Wiederaufflammen der Beschwerden über mehr als 2–3 Tage; chronischer Verlauf (Beschwerden >6 Wochen)
  • Risikogruppen: Kinder unter 1 Jahr, Schwangere, Stillende – insbesondere bei ausgeprägter Symptomatik oder Vorerkrankungen
  • Komplizierte Verläufe: Ausgedehnter Hautbefall, Beteiligung von Augen, Lippen oder Genitalbereich, Nachweis einer Infektion
  • Abbruchkriterien: Nebenwirkungen durch Selbstmedikation, starke Benommenheit, Auftreten bisher nicht bekannter Symptome

Bei jedem Verdacht auf schwere allergische Reaktion oder Anaphylaxie gilt: sofort ärztliche Notfallversorgung.

Zusammenfassung

Symptom(e) Wirkstoffklasse(n) Beratung Kernsätze
Quaddeln, starker Juckreiz H1-Antihistaminika neuere Generation (Cetirizin, Loratadin, Desloratadin, Levocetirizin) Einmal täglich, möglichst zur gleichen Zeit, evtl. zu Therapiebeginn Müdigkeit, Alkohol meiden, bei Kindern altersgerechte Dosierung, bei Leber-/Niereninsuffizienz anpassen, bei fehlender Besserung Arztbesuch
Lokale, leichte Beschwerden Topische Glucocorticoide (Hydrocortison) Kurzzeitig, dünn auftragen, nicht im Gesicht/auf Schleimhäuten, nicht bei Infektion, bei Kindern und Schwangeren besondere Vorsicht
Juckreizlinderung adjuvant Polidocanol, kühlende wirkstofffreie Lotionen Nur zur Linderung, keine ursächliche Behandlung, Hautverträglichkeit prüfen
Notfälle (Angioödem etc.) Sofort ärztliche Hilfe, keine weitere Selbstmedikation, Abgrenzung zu anaphylaktischer Reaktion zwingend

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