Diabetes mellitus Typ 1

Hintergrund und Grundlagen

Diabetes mellitus Typ 1 ist durch einen absoluten Insulinmangel gekennzeichnet. Die Ursache ist typischerweise eine Autoimmunerkrankung, bei der die insulinproduzierenden Beta-Zellen des Pankreas dauerhaft zerstört werden. Daher ist eine lebenslange Insulintherapie notwendig – mit dem Ziel, akute Komplikationen und chronische Folgeschäden zu vermeiden.

Typische Betroffene und Besonderheiten

Typ 1 Diabetes tritt meist im Kindes-, Jugend- oder jungen Erwachsenenalter auf, kann aber auch später diagnostiziert werden. Die Patienten sind auf Insulin angewiesen und benötigen eine individuell abgestimmte, alltagsgerechte Therapie, die je nach Lebenssituation und Fähigkeiten angepasst werden muss.

Insulintherapie in der Praxis

Insulinarten und Wirkprofilauswahl

  • Schnell wirksame Insuline (z.B. Insulin aspart, lispro, glulisin): Starten innerhalb von 10–20 Minuten, Wirkungsgipfel nach ca. 1–2 Stunden, Gesamtdauer ca. 3–5 Stunden. Verwendung zur Mahlzeitenabdeckung („Bolusinsulin“).
  • Basalinsuline (z.B. Insulin glargin, detemir, degludec): Verzögerte, gleichmäßige Wirkung über 12–42 Stunden, decken den Grundbedarf ab.
  • Mischinsuline kombinieren Basal- und Mahlzeiteninsulin, werden aber seltener verwendet, da sie wenig flexibel sind.

Praktisch dürfen Insuline verschiedener Typen (bezüglich Wirkdauer, Konzentration, Auftrag) nicht ohne Rücksprache ausgetauscht werden. Änderungen erfordern engmaschige Selbstkontrollen und ärztliche Begleitung.

Therapiestrategien

  • Intensivierte konventionelle Therapie (ICT): Kombination aus mehrmals täglicher Injektion von Basal- und Bolusinsulin. Erlaubt flexible Anpassungen.
  • Insulinpumpentherapie: Kontinuierliche Insulinabgabe durch eine Pumpe mit Bolusabgabe zu Mahlzeiten. Ermöglicht eine sehr präzise Dosierung, ist aber technikabhängig.
  • Automatisierte Systeme (z.B. „Hybrid-Closed-Loop“): Verbinden Insulinpumpe mit kontinuierlicher Glukosemessung und Algorithmen-gesteuerter Dosisanpassung.

Die Auswahl richtet sich nach Lebensstil, Fähigkeiten zur Selbstanwendung, Alter, Beruf, Hypoglykämierisiko und Therapiepräferenz.

Apotheke: Beratung und pharmazeutische Betreuung

Anwendungstechnik und Fehlerquellen

Die sichere Anwendung von Insulin ist entscheidend, um stabile Glukosewerte und das Vermeiden von Komplikationen zu ermöglichen. In der Apotheke solltest du dabei helfen:

  • Die subkutane Injektion korrekt zu erklären: richtige Nadellänge wählen (meist 4–6 mm), Einstichstelle regelmäßig wechseln (Rotationsschema!), nicht in verhärtete (lipohypertrophe) Areale injizieren.
  • Auf regelmäßigen Nadelwechsel hinweisen (jede Anwendung), da stumpfe Nadeln die Haut schädigen und die Insulinwirkung stören können.
  • Das richtige Handling bei Insulinsuspensionen zu erklären: gründliches Durchmischen vor der Injektion!
  • Hinweise zur Lagerung zu geben: Vorräte im Kühlschrank (2–8°C), angebrochene Pens/Patronen bei Raumtemperatur und vor Hitze schützen, auf Haltbarkeitsdaten achten.

Achte im Gespräch auf Anwendungsfehler: Wiederholte Injektionen an derselben Stelle, seltenes Nadelnwechseln, falsche Lagerung oder ungenügende Durchmischung können die Wirkung stark schwanken lassen.

Mahlzeiteninsulin und Essen

Das Timing von kurz wirkendem Insulin vor den Mahlzeiten ist zentral. Die Insulindosis orientiert sich an den Kohlenhydraten, Faktorberechnung (Insulin-Carb-Ratio) und aktuellem Glukosewert. Fett- und proteinreiche Mahlzeiten führen oft zu einem verzögerten, längeren Blutzuckeranstieg; hier kann eventuell eine geteilte Bolusdosis oder nachträgliche Dosisanpassung sinnvoll sein.

Glukosemonitoring: Systeme und Besonderheiten

  • Kontinuierliche Glukosemessung (CGM): Zeigt den Glukoseverlauf in Echtzeit. Alarme warnen vor Hypo-/Hyperglykämie.
  • Klassische kapilläre Messung: Für Kontrollmessungen weiterhin wichtig, vor allem bei Symptomen, auffälligen Trends oder Systemstörungen.

Achte bei der Abgabe neuer Arzneimittel auf mögliche Interferenzen (z.B. Paracetamol, hohe Dosen Vitamin C), die einzelne CGM-Systeme beeinflussen können und weise auf Kontrollmessungen hin. Berate zur Hautpflege bei Reizungen durch Sensoren oder Pflaster.

Insulinpumpe und Zubehör

Die Apotheke stellt eine kontinuierliche Versorgung mit Verbrauchsmaterial sicher (Katheter, Reservoirs, Sensoren, Batterien). Halte beim Gespräch Rückfallpläne bereit für technische Störungen: Notfall-Insulinpen/-spritze, Ersatzmaterial und Teststreifen.

Typische Probleme sind:

  • Verstopfte oder geknickte Katheter (führt zum raschen Insulinmangel und Gefahr einer Ketoazidose!)
  • Ablösen der Infusionssets, fehlendes Backup-Insulin
  • Lieferengpässe bei Verbrauchsmaterial

Menschen mit Pumpentherapie sollten stets einen Notfallplan parat haben.

Notfallsituationen und Prävention

Hypoglykämie

Kommt es zu niedrigen Glukosewerten, sollte schnell gehandelt werden. Leichte Hypoglykämien behandelt man mit schnell wirksamen Kohlenhydraten (z. B. Traubenzucker, gezuckerte Getränke). Messung nach 10–15 Minuten und ggf. Wiederholung. Nach Normalisierung: Brot, Keks o. Ä. als länger wirksame Kohlenhydratquelle.

Bei schwerer Hypoglykämie: Angehörige oder Betreuungspersonen sollten in Glukagon-Notfallsets eingewiesen sein. Nach Notfall immer ärztliche Rücksprache.

Ketoazidose

Warnzeichen für eine diabetische Ketoazidose (z. B. bei Infekten, Übelkeit, Erbrechen, Insulinausfall): Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Ketonurie/-ämie, tiefe Atmung, Azetongeruch. Sofortige ärztliche Hilfe einleiten! Ketonteststreifen sollten verfügbar sein. Insulin auch bei Krankheit NIE eigenmächtig absetzen („Sick-Day-Regeln“ beachten), häufigere Blutzucker- und Ketonmessung.

Reisen und besondere Situationen

Empfiehl:

  • Ärztliche Atteste, ausreichend Insulin und Notfallkohlenhydrate ins Handgepäck
  • Temperaturmanagement (keine Lagerung im heißen Auto, kein Frost)
  • Ersatzmaterial bei Geräteausfall, Zeitverschiebung berücksichtigen

Eingriffe/Krankenhaus

Patient:innen benötigen immer Basalinsulin – auch nüchtern, z.B. vor Operationen. Stets klarstellen, dass reine Korrekturschemata ohne Basalversorgung gefährlich sind.

Kardiovaskuläre Prävention und Co-Therapie

Menschen mit Typ 1 Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Routineüberprüfung und Beratung in der Apotheke umfasst auch:

  • Blutdruck- und Lipidkontrolle, ggf. Unterstützung bei blutdrucksenkender und lipidsenkender Medikation
  • Erinnerung an ärztliche Kontrollen, Screeningintervalle und Adhärenz
  • Empathische Unterstützung bei Lebensstilmaßnahmen wie Rauchstopp und Gewichtsmanagement

Zusatzttherapien wie Metformin sind off-label und nur in ausgewählten Einzelfällen Thema, da die meisten oralen Antidiabetika bei Typ 1 nicht zugelassen sind.

Kommunikation und psychosoziale Aspekte

Die Betreuung von Menschen mit Typ 1 Diabetes verlangt Einfühlungsvermögen. Besonders psychische Komorbiditäten, Belastungen durch Alltagsmanagement und Diabetes-Distress können sich negativ auswirken. Wichtig:

  • Wertschätzende, verständnisvolle Gesprächsführung – nicht stigmatisierend!
  • Nutzung zieloffener Fragen: Gibt es Unsicherheiten, Belastungen, Alltagsschwierigkeiten, Angst vor Unterzuckerungen?
  • Weitervermittlung an Schulungsangebote, ärztliche oder psychosoziale Unterstützung

Bei wiederkehrenden Problemen sollte immer systematisch nach Ursachen gesucht werden (Anwendungsfehler, unpassende Ziele, mangelnde Schulung, Versorgungslücken etc.)

TipZentrale Aufgaben der Apotheke
  • Sicherstellung der korrekten Insulinanwendung und Gerätesicherheit
  • Vermeidung von Hypoglykämien und Ketoazidosen
  • Strukturierte Beratung zu Anwendung, Ernährung, Monitoring und Notfällen
  • Sicherstellung und Optimierung der Material- und Zubehörversorgung
  • Erkennung und Vermittlung bei psychosozialem Unterstützungsbedarf
  • Stärkung des Selbstmanagements und Förderung der aktiven Therapie-Teilnahme

Zusammenfassung

  • Beim Typ 1 Diabetes liegt ein absoluter Insulinmangel vor – Insulin ist lebensnotwendig.
  • Insulintherapien müssen individualisiert gewählt und überwacht werden; Anwendung, Dosierung, Fehlerquellen und Applikationstechnik sind zentrale Beratungsthemen.
  • Kontinuierliche Glukosemesssysteme sind weit verbreitet; klassische Messungen bleiben ergänzend wichtig.
  • Hypoglykämie- und Ketoazidose-Prävention stehen im Fokus, Notfallkompetenz und Materialversorgung sind apothekenrelevante Aufgaben.
  • Eine empathische, strukturierte Kommunikationsweise und systematische Ursachenforschung bei Problemen fördern Therapieerfolg und Lebensqualität.
  • Die Apotheke ist erste Ansprechpartnerin für Fragen zu Insulin, Messsystemen, Zubehör, Ernährung, Reisen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und psychosozialen Folgen des Typ 1 Diabetes.

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