Angewandte Pharmakotherapie und praktische Aspekte der pharmazeutischen Betreuung
Hintergrund und Ziel der angewandten Pharmakotherapie
Die zentrale Aufgabe in der pharmazeutischen Betreuung ist es, Patienten bei einer sicheren, wirksamen und individualisierten Arzneimitteltherapie zu unterstützen. Das bedeutet, Arzneimittel müssen nicht nur korrekt abgegeben, sondern auch kritisch hinsichtlich Wirksamkeit, Verträglichkeit und Wechselwirkungen betrachtet werden. Eine gute Pharmakotherapie ist kein Selbstläufer – gerade Patientengruppen wie Kinder, Schwangere, ältere Menschen und Patienten mit Multimedikation sind besonders betreuungsintensiv.
Arzneimitteltherapie: Von der Verordnung bis zur Kontrolle
Pharmazeutische Betreuung beginnt meist am HV-Tisch und endet nicht zwingend mit der Abgabe. Sie umfasst:
- Erfassung der Patientendaten (z.B. Begleitmedikation, Vorerkrankungen)
- Identifikation und Lösung arzneimittelbezogener Probleme (z.B. Doppelverordnungen, Interaktionen, Einnahmefehler)
- Beratung zur richtigen Anwendung, Dosierung und Dauer der Therapie
- Überprüfung auf spezielle Risiken (z.B. Dosierungsanpassung bei Niereninsuffizienz)
- Gegebenenfalls Einbindung weiterer Gesundheitsberufe und Hinweis auf ärztliche Rücksprache
Jede Therapie muss im Gesamtbild des Patienten betrachtet werden!
- Was ist die Indikation?
- Welche Begleiterkrankungen/Begleitmedikation liegen vor?
- Gibt es Hinweise auf (potenzielle) Interaktionen oder Kontraindikationen?
- Ist die Dosierung für Alter, Gewicht, Nieren- und Leberfunktion passend?
- Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten und wie kann man ihnen begegnen?
- Sind spezielle Anwendungshinweise zu beachten?
Besondere Herausforderungen in der pharmazeutischen Betreuung
Multimedikation (Polypharmazie)
Gerade bei älteren Patienten ist Polypharmazie weit verbreitet. Hier steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Wechselwirkungen exponentiell. Typische Probleme sind:
- Interaktionen, z.B. durch Cytochrom-P450-Modulation (zum Beispiel Statine und Makrolidantibiotika)
- Dosierungsfehler wegen Organfunktionseinschränkungen (vor allem Niere, Leber)
- Adhärenzprobleme durch komplexe Einnahmeschemata
Wichtige Aufgabe: Medikationsanalyse, ggf. interprofessionelle Rücksprache, Beratung zur Einnahmeerleichterung (z.B. Dosett, Einnahmeplan, Tablettenteiler).
Besonders verletzliche Patientengruppen
- Kinder: Oft fehlen zugelassene Präparate und altersgerechte Darreichungsformen. Dosierung meist nach Körpergewicht – Fehlerrisiko!
- Schwangere/Stillende: Nutzen-Risiko-Abwägung, nur gut untersuchte Arzneimittel verwenden, teratogene Wirkungen strikt vermeiden.
- Hochbetagte: Oft Multimorbidität; vorsichtige Dosisanpassung notwendig, z.B. bei Schlafmitteln oder Antihypertensiva.
Arzneimittelbezogene Probleme und deren Lösung
Typische Herausforderungen sind:
- Einnahmefehler (z.B. Generikawechsel, Verwechslung von Darreichungsformen)
- Vergessene Dosen oder Überdosierung
- Verfallene bzw. unsachgemäß gelagerte Arzneimittel
- Selbstmedikation mit Wechselwirkungsrisiken
Hier ist eine zielgerichtete Beratung Gold wert!
Beispiele: Praktische Betreuung ausgewählter Indikationen
Hypertonie
- Auswahl der Therapie richtet sich nach Alter, Begleiterkrankungen und Komorbiditäten.
- ACE-Hemmer (z.B. Ramipril): Hemmen das Renin-Angiotensin-System. Häufig trockener Reizhusten; bei Auftreten evtl. Umstellung auf AT1-Blocker (z.B. Candesartan) erwägen.
- Interaktionen: Achtung bei gleichzeitiger NSAR-Einnahme – erhöhtes Risiko für Nierenfunktionsstörung und Blutdruckanstieg.
Beratungsaspekte: Einnahme möglichst regelmäßig, besser morgens; keine eigenmächtige Dosisänderung; Monitoring des Blutdrucks zuhause empfehlen.
Antikoagulation (z.B. mit DOAKs – Apixaban, Rivaroxaban)
- Regelmäßige Einnahme ist Pflicht (hohes Risiko für thromboembolische Ereignisse bei Auslassungen).
- Wechselwirkungen u.a. mit Azolantimykotika (CYP3A4-Inhibition → erhöhte Blutungsgefahr)
- Nicht ohne Rücksprache einfach absetzen oder pausieren!
Beratungsaspekte: Was tun bei vergessener Dosis? Hinweise auf Warnsymptome von Blutungen geben (z.B. Teerstuhl, Nasenbluten).
Diabetes mellitus
- Individuelle Zielwerte und Arzneimittelwahl (Metformin bleibt First-Line bei Typ-2, solange keine KI wie Niereninsuffizienz vorliegt)
- Hypoglykämierisiko, v.a. bei Sulfonylharnstoffen; Behandlung leichter Hypoglykämien erklären.
- Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion: Metformin, SGLT2-Hemmer sind hier kritisch zu sehen.
Beratungsaspekt: Blutzuckerselbstkontrolle, Zeichen einer Hypoglykämie erkennen.
Schlüsselthema: Arzneimittelinteraktionen
Wechselwirkungen entstehen meist durch Änderungen im Metabolismus (z.B. Hemmung/Induktion von CYP-Enzymen), Verdrängung aus Proteinbindung oder pharmakodynamische Additionen. Dies kann zu Wirkungsverlust, Wirkungsverstärkung oder verstärkten Nebenwirkungen führen.
- Azol-Antimykotika + Statine → Risiko für Rhabdomyolyse (CYP3A4-Hemmung)
- Marcumar + NSAR → Erhöhte Blutungsgefahr (pharmakodynamisch)
- Johanniskraut + orale Kontrazeptiva → Unwirksamkeit der Kontrazeptiva (CYP-Induktion)
Praktische Tipps zur Beratung und Betreuung
- Immer gezielt zu Einnahmezeitpunkt, Nahrungsmitteleinfluss und Aufbewahrung befragen.
- Patienten motivieren, Fragen zu stellen und ihre Erfahrungen zurückzumelden.
- Hilfsmittel zur Einnahmeerleichterung anbieten (z.B. Tablettenteiler, Applikationshilfen).
- Einnahmepläne oder Medikationspläne nutzen und besprechen.
- Erklären, worauf bei Nebenwirkungen oder Beschwerden geachtet werden soll und wann Rücksprache nötig ist.
Grenzen der pharmazeutischen Betreuung: Bei Unsicherheiten, komplexen Fällen oder nicht erklärbaren Beschwerden stets ärztliche Abklärung empfehlen! Das Zusammenwirken mit Ärzt:innen sowie Pflege oder Therapeuten ist essenziell für den Therapieerfolg.
Zusammenfassung
- Die pharmazeutische Betreuung geht weit über die reine Abgabe hinaus: Erkennen von Risiken, gezielte Beratung, Problemlösung und Zusammenarbeit sind zentrale Aufgaben.
- Gefährdete Patientengruppen (Kinder, Schwangere, Ältere, Multimedikation) haben besondere Anforderungen.
- Kenntnisse über Arzneistoffe, Wirkmechanismen, typische Nebenwirkungen und Interaktionen sind unerlässlich, um gezielt beraten zu können.
- Die Kontrolle der kompletten Arzneimitteltherapie im Blick behalten, individuell und patientenorientiert handeln.
- Interprofessionelle Zusammenarbeit fördert den Therapieerfolg und die Sicherheit der Patienten.
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