Schwangerschaft und Stillzeit

Physiologische Veränderungen und ihre Bedeutung für die Arzneimitteltherapie

Während Schwangerschaft und Stillzeit verändert sich der Körper der Frau in vielerlei Hinsicht, was die Wirkung und den Umgang mit Arzneimitteln beeinflusst. Besonders relevant sind hierbei:

  • Erhöhtes Plasmavolumen: Kann die Konzentration von Arzneistoffen im Blut verdünnen, wodurch eventuell eine Dosisanpassung nötig wird.
  • Verminderte und veränderte Plasmaproteinbindung: Weniger Eiweißbindung führt zu mehr freiem Arzneistoff im Blut, was das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen kann.
  • Gesteigerte renale Clearance: Viele Substanzen werden schneller ausgeschieden.
  • Modifizierte Aktivität der Leberenzyme: Abbau und Aktivierung von Arzneistoffen können beschleunigt oder verzögert sein.

Diese Veränderungen führen dazu, dass Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit anders wirken oder dosiert werden müssen als bei nicht-schwangeren bzw. nicht-stillenden Frauen.

Risiken für Embryo, Fetus und Neugeborenes

Arzneistoffe können die Plazentaschranke überwinden – entscheidend sind vor allem Lipophilie, Molekülgröße, Proteinbindung und Ionisierung. Besonders während der Organogenese (4.-12. Schwangerschaftswoche) besteht ein hohes Risiko für teratogene Effekte (Entwicklungsstörungen, Fehlbildungen).

In der Stillzeit können zahlreiche Wirkstoffe in die Muttermilch übertreten. Entscheidend sind hierfür ebenfalls Lipophilie, pKa-Wert, Molekülgröße, Proteinbindung und Halbwertszeit.

Die potenziellen Gefahren betreffen nicht nur klassische Arzneimittel, sondern auch pflanzliche Präparate und Nahrungsergänzungsmittel, die von Patientinnen häufig als “natürlich und sicher” eingeschätzt werden, aber relevante Risiken bergen können.

TipBeratungsfokus – Keine Therapie ist oft keine Lösung

Der völlige Verzicht auf notwendige Arzneimittel (“lieber nichts nehmen”) kann Gesundheitsgefahren für Mutter und Kind verursachen. Daher ist es wichtig, Nutzen und Risiken realistisch abzuwägen und qualifiziert zu beraten.

Typische Fragen in der pharmazeutischen Beratung

Bei der Betreuung schwangerer und stillender Frauen gilt es, besonders gezielt zu beraten und typische Unsicherheiten zu addressieren:

  • Besteht eine Schwangerschaft bzw. wird gestillt? (Gezielte Nachfrage im Beratungsgespräch)
  • Wozu dient das Arzneimittel und ist die Indikation klar?
  • Welche Alternativen stehen für Schwangere bzw. Stillende zur Verfügung?
  • Gibt es bevorzugte Substanzen oder bewährte Therapieoptionen?
  • Ist eine Anpassung von Dosis oder Dosierungsintervallen nötig?
  • Wie lange ist eine Einnahme unerlässlich? (Therapiedauer)

Arzneistoff-Auswahl und Besonderheiten

Die Auswahl geeigneter Arzneimittel erfolgt unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Daten und Leitlinien. Häufig gibt es innerhalb einer Wirkstoffgruppe sicherere Alternativen für diese Patientinnengruppe.

Beispielhaft einige wichtige Wirkstoffgruppen mit Besonderheiten:

Wirkstoffgruppe Empfohlene Substanzen (Bsp.) Hinweise/Besonderheiten
Analgetika Paracetamol Mittel der Wahl, in empfohlener Dosierung und Dauer
NSAR Ibuprofen Nur im 1. und 2. Trimenon; KI im 3. Trimenon (vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus)
Antiemetika Doxylamin, Meclozin Bewährte Optionen bei Schwangerschaftsübelkeit
Antibiotika Penicilline, Cephalosporine Breites Sicherheitsprofil, viele Alternativen möglich
Antikoagulanzien Heparine Heparin (unfraktioniert oder niedermolekular) bevorzugen, keine Plazentagängigkeit
Antihypertensiva Methyldopa 1. Wahl, sicher in Schwangerschaft

Pflanzliche Präparate: Vorsicht bei z.B. Johanniskraut, Ginkgo, Ingwer, da kaum systematische Studien vorliegen und Risiken (Wehenförderung, Blutungsrisiko) möglich sind!

Arzneistoffe in der Stillzeit

Nicht alle in der Schwangerschaft bewährten Arzneimittel sind auch während der Stillzeit gleichermaßen geeignet. Die meisten Substanzen gelangen in unterschiedlichem Ausmaß in die Muttermilch.

  • Antibiotika: Meist sind Penicilline und Cephalosporine auch während des Stillens Mittel der Wahl.
  • Schmerzmittel: Paracetamol und Ibuprofen werden als unkritisch angesehen.
  • Hormonelle Wirkstoffe (z.B. Östrogene): Können Milchbildung hemmen und sollten gemieden werden.

Der Zeitpunkt der Einnahme kann helfen, die Exposition des Säuglings zu minimieren (z.B. Arzneimittel direkt nach dem Stillen einnehmen).

Unterstützung durch Embryotox

Embryotox ist die zentrale, unabhängig betriebene Datenbank für Fragen rund um Arzneimittelanwendung in Schwangerschaft und Stillzeit und sollte routinemäßig konsultiert werden. Hier findest du aktuelle, evidenzbasierte Informationen, bevorzugte Therapieoptionen und klare Handlungsempfehlungen.

  • Individuelle Beratung für spezielle Patientinnen (ggf. Rücksprache mit Gynäkologie/Pädiatrie)
  • Einfache Suchfunktion und Kurzzusammenfassungen
  • Detaillierte Hinweise zu Dosierung, Therapiedauer und notwendiger Überwachung

Selbstmedikation und Nahrungsergänzung

Selbst vermeintlich harmlose Präparate können problematisch sein:

  • Phytopharmaka: Oft fehlen Daten zur Sicherheit. Gilt insbesondere für Ginkgo, Johanniskraut, Baldrian & Co.
  • Vitaminsupplemente: Dosierung unbedingt beachten (v.a. Vitamin A – erhöhte Dosis ist teratogen).
  • OTC-Präparate: Immer individuelle Risikoabwägung, niemals pauschal freigeben.

Im Beratungsgespräch sollte gezielt nach frei verkäuflichen/ergänzenden Präparaten gefragt werden.

Interprofessionelle Zusammenarbeit und Verantwortungsbereich

Grenzen in der Apotheke sind zu berücksichtigen: In Zweifelsfällen oder bei komplexen Fragestellungen sollte die Beratung in Zusammenarbeit mit Ärzt:innen erfolgen. Eine enge Abstimmung sichert die optimale Betreuung von Mutter und Kind.

TipPraxis-Tipp: Beratungsleitfaden
  1. Immer gezielt nach Schwangerschaft/Stillzeit fragen
  2. Nutzen-Risiko-Abwägung klar kommunizieren
  3. Verfügbare Daten zu Sicherheit und Alternativen nutzen (z.B. Embryotox)
  4. Über OTC, pflanzliche Mittel und Nahrungsergänzung kritisch aufklären
  5. Bei Unsicherheiten oder speziellen Fragestellungen gemeinsam mit Arzt/Ärztin abstimmen

Zusammenfassung

  • Schwangerschaft und Stillzeit stellen besondere Anforderungen an die Arzneimitteltherapie dar.
  • Physiologische Veränderungen beeinflussen die Pharmakokinetik vieler Arzneistoffe.
  • Der Schutz des Kindes steht besonders im Fokus, dennoch sollte notwendige Therapie nicht unbegründet verweigert werden.
  • Zahlreiche Substanzen – auch pflanzliche und “natürliche” – sind nicht automatisch sicher.
  • Embryotox bietet aktuelle, evidenzbasierte Informationen zur Arzneimittelanwendung.
  • Eine strukturierte, individuelle Beratung und ggf. interdisziplinäre Zusammenarbeit sind unverzichtbar, um Mütter und Kinder vor Risiken zu schützen.

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