Venöse Thromboembolien
Hintergrund und Bedeutung
Venöse Thromboembolien (VTE) umfassen die tiefe Venenthrombose (TVT) und die Lungenembolie (LE) als akute Komplikation. Sie treten besonders häufig in Situationen mit vorübergehend erhöhtem Risiko auf – z.B. nach Operationen, bei frischer Immobilisation, nach akuten schweren Erkrankungen oder Trauma. Für dich als Apotheker:in ist entscheidend, VTE-Risikokonstellationen zu erkennen, Präventionsmaßnahmen einzuordnen und Patient:innen in Auftreten, Therapie und Anwendung sicher zu begleiten.
Risikofaktoren
Für das Risiko einer venösen Thromboembolie sind sowohl auslösende Situationen als auch individuelle Patienteneigenschaften entscheidend:
- Situative Faktoren: Operationen (v.a. größere Eingriffe), langandauernde Bettlägerigkeit oder Ruhigstellung (Gips, Orthesen), Trauma, Entzündungen, Intensivtherapie oder akute internistische Erkrankungen.
- Patientenbezogene Faktoren: Frühere VTE, Tumorerkrankungen, Alter >60 Jahre, starkes Übergewicht, schwere Herz- oder Lungenerkrankungen, hormonelle Therapie (z.B. Antibabypille), Schwangerschaft und Wochenbett, bestimmte Thrombophilien.
Je nach Kombination dieser Faktoren wird das Gesamtrisiko als niedrig, mittel oder hoch eingeschätzt – das ist auch Grundlage für eine differenzierte Prophylaxe.
Ermittle für jede:n Patient:in die Gesamtsituation: Wo gibt es akutes Risiko aufgrund Immobilisation, Eingriff oder bestehenden Vorerkrankungen? Gibt es zusätzliche risikosteigernde Faktoren? Darauf basierend wird bestimmt, welche Prophylaxestrategie angemessen ist.
Grundsätze der Prophylaxe
Das Ziel jeder Maßnahme ist es, das individuelle Risiko für VTE möglichst effektiv zu senken – und zwar bei möglichst geringem Blutungsrisiko.
Basismaßnahmen
Diese gelten immer dann, wenn vorübergehend ein Risiko besteht, unabhängig von medikamentösen Maßnahmen:
- Frühzeitige Mobilisation nach Eingriffen oder akuten Erkrankungen
- Angeleitete Bewegungsübungen (z.B. Fußkreisen, Zehenstände)
- Ausreichende Flüssigkeitszufuhr
Mittlere und hohe Risiken erfordern ergänzend zur Basishygiene eine gezielte medikamentöse und/oder physikalische Prophylaxe.
Physikalische Maßnahmen
Kompressionsstrümpfe (meist Klasse II) oder intermittierende pneumatische Kompression können das Thromboserisiko weiter senken – vorausgesetzt, sie werden korrekt angepasst und angewendet. Wichtige Kontraindikationen sind z.B. ausgeprägte arterielle Durchblutungsstörung, offene Hautstellen oder schwere Herzinsuffizienz. Sie sind besonders bedeutsam, wenn eine Antikoagulation vorübergehend nicht möglich ist.
Medikamentöse Prophylaxe
Bei mittlerem oder hohem Risiko ist meist eine medikamentöse Thromboseprophylaxe erforderlich.
Wirkstoffgruppen im Überblick
| Wirkstoffgruppe | Typischer Vertreter | Wirkmechanismus | Praxisbesonderheiten |
|---|---|---|---|
| Niedermolekulare Heparine | Enoxaparin, Certoparin | Hemmung von Faktor Xa (über Antithrombin) | Subkutan, renale Elimination |
| Unfraktioniertes Heparin | Heparin-Natrium | Hemmung Thrombin & Faktor Xa | Kurz wirksam, Antagonisierbarkeit, i.v./s.c. |
| Direkte orale Faktor Xa-Hemmer | Rivaroxaban, Apixaban | Direkte Faktor Xa-Inhibition | Oral, feste Dosierung, renale Elimination |
| Direkter Thrombinhemmer | Dabigatran | Direkte Hemmung von Thrombin | Oral, renal eliminiert, Antidot verfügbar |
| Vitamin-K-Antagonisten | Phenprocoumon, Warfarin | Hemmung Vitamin-K-abhängiger Synthese von Faktoren | Individuelle Dosierung, Interaktionen |
Wichtige Wechselwirkungen
- Thrombozytenfunktionshemmer und NSAR: Erhöhen Blutungsrisiko (additive Wirkung)
- Enzyminduktoren/-inhibitoren (z.B. bei oralen Antikoagulanzien): Können Wirkspiegel beeinflussen
- Beeinträchtigte Nierenfunktion: Besonders relevant bei NOAK und niedermolekularen Heparinen – Dosierungsanpassung notwendig!
Auswahl und Anwendung
- Niedermolekulare Heparine sind in der Prophylaxe Standard. Vorteil: zuverlässige Wirksamkeit, subkutane Applikation, einfache Handhabung, seltene Dosisanpassungen.
- Direkte orale Antikoagulanzien (DOAKs) sind v.a. für bestimmte Indikationen wie postoperativ nach orthopädischen Eingriffen zugelassen.
- Unfraktioniertes Heparin bleibt Mittel der Wahl bei schwerer Niereninsuffizienz oder dort, wo eine rasche Steuerbarkeit und Antagonisierung erforderlich ist.
- Vitamin-K-Antagonisten haben ihren Stellenwert eher in der Langzeittherapie.
Anwendungsbesonderheiten
- Die Anwendung von subkutanen Heparinen erfordert eine sorgfältige Technik: Spritze locker fassen, Hautfalte heben, Nadel senkrecht (nicht schräg) einstechen, Injektionsstelle regelmäßig wechseln und Abstand zu Wunden einhalten.
- Bei oralen Antikoagulanzien ist die regelmäßige Einnahme zum gleichen Zeitpunkt wichtig. Auf Klärung bei vergessener Dosis achten (z.B. Nachholen innerhalb gewisser Zeitfenster).
Beratung und pharmazeutische Betreuung
Im Alltag der Apotheke nimmt die Beratung eine zentrale Rolle ein. Du solltest…
- …bei jeder Verordnung auf die Passung zur individuellen Situation achten: Sind Nieren- und Leberfunktion berücksichtigt? Alter, Gewicht, Begleitmedikation, aktuelle Blutungszeichen? Liegen geplante Operationen oder Regionalanästhesien vor?
- …sicherstellen, dass die Prophylaxedauer zur Indikation passt (z.B. nach Hüftprothese 5 Wochen, nach Knieprothese meist 2 Wochen).
- …bei Entlassrezepten prüfen, ob eine Fortführung der Prophylaxe angezeigt ist.
- …Fehler bei der Anwendung vermeiden helfen (z.B. korrekte Injektionstechnik, Doppelverordnungen verhindern).
- …über Warnzeichen von Blutungen aufklären: Plötzliche blaue Flecken, blutiger Urin/Stuhl, Nasenbluten oder Zahnfleischbluten sollten zur Rücksprache mit dem Arzt führen.
Insbesondere bei Wechsel vom Krankenhaus in die ambulante Versorgung passieren häufig Fehler: Prophylaxe-Lücken, Doppelverordnungen oder ungeplante Abbrüche sind häufige Probleme. Ein strukturierter Check des Entlassrezepts und gegebenenfalls Rücksprache mit Klinik oder Hausarzt kann Versorgungslücken verhindern.
Spezielle Patientengruppen und Besonderheiten
- Schwangerschaft und Wochenbett: Erhöhtes Risiko! Meist parenterale Heparin-Prophylaxe, da Vitamin-K-Antagonisten und viele DOAKs kontraindiziert oder problematisch sind.
- Krebspatient:innen: Erhöhtes Thrombose- und Blutungsrisiko je nach Tumor und Therapie. Besonders auf Adhärenz und Nutzen-Risiko-Abwägung achten.
- Intensivpatient:innen / Schlaganfall mit Lähmung: Meist Indikation zur Prophylaxe. Physikalische Maßnahmen gewinnen an Bedeutung, wenn das Blutungsrisiko von Antikoagulanzien gegen deren Einsatz spricht.
- Ambulante Gipsruhigstellung: Individualisierte Entscheidung, abhängig von Immobilisationsgrad, Risikofaktoren und Gesamtsituation.
Komplikationen und Management
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT)
Eine seltene, aber gefährliche immunvermittelte Komplikation, häufig nach mehreren Tagen unter (insbesondere unfraktioniertem) Heparin. Typisch: Paradoxerweise Thrombosen statt Blutungen. Bei Verdacht (> 50% Abfall der Thrombozytenzahl, neue Thrombosen): Heparin sofort absetzen, alternatives Antikoagulans.
Blutungen
Bei Blutungskomplikationen je nach Substanz die Vorgehensweise unterscheiden:
- Heparine: Partielle Antagonisierung mit Protamin möglich.
- Vitamin K-Antagonisten: Antagonisierbar mit Vitamin K und Gerinnungsfaktoren.
- Direkte orale Antikoagulanzien: Nur einzelne Substanzen sind direkt antagonisierbar (z.B. Idarucizumab für Dabigatran). Ansonsten supportive Maßnahmen und beachten, dass Kumulation bei eingeschränkter Nierenfunktion zu längeren Wirkspiegeln führen kann.
Typische Praxischecks in der Apotheke
- Erfasse Risiken und individuelle Kontraindikationen.
- Prüfe Interaktionen und Begleitmedikation.
- Schätze Nieren- und Leberfunktion ab.
- Kontrolliere die Anwendungs- und Dosierungshinweise.
- Schule die korrekte Anwendung.
- Kläre auf über Warnzeichen für Komplikationen.
- Stelle die Schnittstellenkommunikation bei Entlass- oder Neueinstellungen sicher.
Zusammenfassung
- Venöse Thromboembolien treten häufig in Phasen vorübergehend erhöhten Risikos auf; Prophylaxe orientiert sich am individuellen Gesamtrisiko.
- Basismaßnahmen (Mobilisation, Bewegung, Hydrierung) sind immer sinnvoll, ersetzen aber bei mittlerem und hohem Risiko keine medikamentöse Prophylaxe.
- Die wichtigsten Arzneistoffe sind niedermolekulare Heparine, gefolgt von DOAKs (je nach Indikation) und unfraktioniertem Heparin (v.a. bei Niereninsuffizienz).
- Besonderheiten bei Schwangerschaft, Tumorpatient:innen, Immobilisation, Intensivstation und Gipsruhigstellung beachten.
- Die pharmazeutische Betreuung umfasst Risikoprüfung, Anwendungsberatung, Adhärenzförderung, Überprüfung der Prophylaxedauer und Schnittstellenmanagement.
- Bei Komplikationen wie HIT oder Blutungen muss schnelles, substanzenabhängiges Handeln erfolgen.
- Interprofessionelle Zusammenarbeit und sorgfältige Prüfung der individuellen Patientensituation sind der Schlüssel zu einer sicheren und effektiven Prophylaxe und Therapie.
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