Demenz
Hintergrund und Besonderheiten der Demenz in der Apothekenpraxis
Demenz ist ein Überbegriff für Erkrankungen mit fortschreitendem Verlust kognitiver Fähigkeiten, Alltagskompetenzen und häufig auch Veränderungen von Verhalten oder Stimmung. In Deutschland ist die Alzheimer-Krankheit die mit Abstand häufigste Form, gefolgt von vaskulärer, Lewy-Körper- und frontotemporaler Demenz. Die meisten Betroffenen sind älter als 65 Jahre und weisen oft zusätzliche chronische Erkrankungen (Multimorbidität) auf.
In der Apotheke steht die sichere, verständliche und alltagstaugliche Arzneimittelversorgung im Mittelpunkt. Demenzpatienten nehmen häufig viele verschiedene Arzneimittel (Polypharmazie), was Sturzgefahr, Delir und arzneimittelbedingte kognitive Verschlechterung begünstigen kann.
Schwerpunkt: Sicherer Umgang mit Antidementiva
Für die Alzheimer-Demenz und verwandte Formen stehen zwei wesentliche Therapieprinzipien im Vordergrund:
- Cholinesterasehemmer wie Donepezil, Rivastigmin und Galantamin hemmen den Abbau von Acetylcholin und stärken so die cholinerge Signalübertragung. Ihr Einsatz erfolgt in frühen bis mittleren Stadien, mit dem Ziel, Kognition und Alltagsfunktion zu stabilisieren oder leicht zu bessern.
- Memantin ist ein Glutamat-Antagonist und wird meist im moderaten bis schweren Stadium eingesetzt, wenn Störungen der glutamatergen Neurotransmission im Vordergrund stehen.
Wichtiger Arzneistoff (Beispiel):
- Donepezil (Cholinesterasehemmer, häufig verordnet zur Behandlung milder bis mäßiger Alzheimer-Demenz).
Vor Abgabe, bei jeder Wiederholung und im Verlauf sollte gezielt nach Herzrhythmusstörungen, Bradykardie, Stürzen, Synkopen, Gewichtsverlust, Flüssigkeitsdefizit sowie gastrointestinalen Beschwerden gefragt werden. Achte auch auf Komedikation mit frequenzsenkenden Arzneimitteln (z.B. Betablocker, Verapamil) und prüfe besonders Sturz- und Delirrisiken.
Nebenwirkungen von Cholinesterasehemmern sind dosisabhängig und umfassen:
- Magen-Darm-Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Durchfall)
- Appetitverlust, Gewichtsabnahme
- Schlafstörungen (häufig bei abendlicher Einnahme)
- Bradykardie, Schwindel, Synkopen (bei kardiovaskulärer Vorschädigung)
- Verschlechterung eines bestehenden Reizleitungsblocks oder einer Hypotonie
Praktische Hinweise: Die Aufdosierung erfolgt immer langsam, abgestimmt auf Verträglichkeit und ärztliches Schema. Bei Unverträglichkeit kann ein Wechsel auf einen anderen Wirkstoff der Klasse erfolgen. Transdermale Formen (z.B. Rivastigmin-Pflaster) erfordern Schulung zu Applikation, Hautpflege und Wechselstellenrotation.
Memantin ist insgesamt besser verträglich, kann aber bei Nierenfunktionsstörung eine Dosisreduktion erfordern. Eine strukturierte Einnahmeroutine (z.B. morgens, unabhängig von den Mahlzeiten) sollte eingeübt werden.
Umgang mit psychischen und Verhaltenssymptomen
Neben kognitiven Defiziten sind Unruhe, Depression, Schlafstörungen oder Aggressivität häufig. Hier steht die nicht medikamentöse Behandlung (Schmerzerkennung und -behandlung, Vermeidung von Überforderung, Förderung von Bewegung und sozialer Interaktion, Kontrolle auf Infektionen oder Flüssigkeitsmangel) immer im Vordergrund. In der Apothekenpraxis empfiehlt sich bei typischem Verhalten:
- Auslöser zu erfragen: Gab es Veränderungen im Alltag, Medikamentennebenwirkungen, Schlafmangel, Schmerzen?
- Hinweise auf akute Auslöser wie Infekt, Obstipation/Harnverhalt, neue Medikamente
- Bei Medikation von Antidepressiva: Wahl von Mitteln mit geringer anticholinerger Belastung, Monitoring von Hyponatriämierisiko und Sedierung
- Antipsychotika: strenge Indikationsstellung, niedrigste Dosis, regelmäßige Überprüfung der Therapie und engmaschige Kontrolle auf motorische Nebenwirkungen, Verschlechterung der Wachheit oder Gangunsicherheit
- Schlafstörungen: Zunächst immer Ausschöpfen nicht medikamentöser Maßnahmen, Benzodiazepine und Z-Substanzen möglichst vermeiden
Besondere Risiken und Beratungsschwerpunkte
Polypharmazie und kognitive Beeinträchtigung durch Arzneimittel
Viele Wirkstoffe können das Risiko von Delir, Stürzen oder zusätzlicher kognitiver Einbußen erhöhen. In der Medikationsanalyse sind typische Risikogruppen:
- Anticholinerge Mittel (z.B. einige Antidepressiva/Antipsychotika, Spasmolytika, Antihistaminika der 1. Generation)
- Sedierende Arzneimittel (Benzodiazepine, Z-Substanzen, viele ältere Antipsychotika)
- Blutdrucksenker mit starker Hypotoniegefahr
- Opioid-Analgetika ohne Dosisanpassung und Kontrolle
Geh bei jeder Verlängerung oder Neueinstellung die Medikation gezielt im Hinblick auf solche Risiken durch (ggf. mit Angehörigen/Pflegenden). Einfache Fragen wie „Gab es Stürze?“, „Hatten Sie oder Ihre Angehörigen Schwindel, Schwäche, mehr Verwirrtheit oder üble Träume?“ können hier helfen.
Besonderheiten anderer Demenzformen
- Vaskuläre Demenz: Fokussiert auf Vermeidung neuer vaskulärer Ereignisse; die Behandlung vaskulärer Risikofaktoren (Blutdruck, Cholesterin, Diabetes) steht im Vordergrund.
- Lewy-Körper und Parkinson-Demenz: Besonders empfindlich für Nebenwirkungen vieler Antipsychotika – Frage gezielt nach psychotischen Symptomen und neuen Bewegungsstörungen, Modernste Antipsychotika mit geringster motorischer Belastung bevorzugen, interdisziplinäre Rücksprache suchen.
- Frontotemporale Demenz: Keine etablierte kognitiv verbessernde Therapie; Fokus liegt auf Symptomkontrolle und Angehörigenunterstützung.
Schmerz, Inkontinenz, Dysphagie
- Schmerzmanagement: Auch bei Kommunikationsstörungen sollte gezielt nach Schmerzzeichen gefragt werden (z.B. Unruhe, Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Schonhaltungen). Opioide nur mit engmaschiger Kontrolle auf Obstipation, Verwirrtheit, Atemdepression und unter Beachtung der Nierenfunktion.
- Dranginkontinenz: Antimuskarinika können Gedächtnisleistung weiter verschlechtern und sollten nur kritisch und in Rücksprache mit Arzt eingesetzt werden.
- Dysphagie: Tabletten auf Zerkleinerbarkeit prüfen; bei transdermalen oder flüssigen Darreichungsformen Anwendungseinweisung geben, Risiko für Aspiration beachten.
Pflanzliche und ergänzende Präparate
Beratung sollte sich auf standardisierte Extrakte (z.B. Ginkgo biloba) konzentrieren. Erkläre realistische Erwartungen, mögliche Interaktionen (Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Einnahme von Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern) und warne vor unkoordinierten Selbstmedikationsansätzen.
Adhärenz und unterstützende Maßnahmen
Adhärenzprobleme sind häufig und betreffen sowohl die korrekte Einnahme als auch die rechtzeitige Wiederbeschaffung. Sinnvolle Hilfsmittel:
- Einnahmevereinfachung (wenige Einnahmezeitpunkte, Wochenblister, Erinnerungssysteme)
- Einbeziehung von Angehörigen oder Pflegepersonen in das Beratungsgespräch
- Wiederholte Schulung, Dokumentation und Nachfragen zur Einnahmeroutine
Kommunikation, Einwilligung und Angehörigenberatung
Das Gespräch zur Einwilligungsfähigkeit, Therapieziele und Betreuung der Angehörigen ist häufig Teil des pharmazeutischen Alltags. Besonders nach Diagnosestellung sollte auf depressive Verstimmung oder erhöhtes Suizidrisiko geachtet und ggf. auf ärztliche Hilfsangebote sowie regionale Unterstützungssysteme (Pflegeberatung, Selbsthilfegruppen, rechtliche Betreuung) hingewiesen werden.
| Gruppe | Beispiel | Wirkmechanismus | Typische Nebenwirkungen |
|---|---|---|---|
| Cholinesterasehemmer | Donepezil | Erhöht cholinerge Aktivität | Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Schlafstörung |
| Glutamatrezeptor-Antagonist | Memantin | Reguliert glutamaterge Transmission | Schwindel, Kopfschmerz, Verwirrtheit |
| Antidepressiva (ausgewählte) | Sertralin | SSRI | Hyponatriämie, Blutungsneigung, QT-Verlängerung |
| Antipsychotika (niedrige Dosis) | Risperidon | Blockade von Dopamin/Serotonin | Sedierung, Sturzrisiko, Bewegungsstörung |
| Pflanzliche Präparate | Ginkgo biloba | antioxidativ, mikrozirkulationsfördernd | Blutungsrisiko, Magen-Darm-Beschwerden |
Zusammenfassung
- Schwerpunkt der pharmazeutischen Betreuung bei Demenz ist die sichere, praktisch anwendbare und gut überprüfbare Pharmakotherapie.
- Cholinesterasehemmer und Memantin sind Standard bei Alzheimer – vor Abgabe auf relevante Neben- und Wechselwirkungen, kardiovaskuläre Risiken und Verträglichkeit achten.
- Viele Arzneimittel erhöhen Sturz-, Delir- und Sedierungsrisiko – prüfe regelmäßig die Gesamtmedikation, besonders bei Polypharmazie.
- Psychische und Verhaltenssymptome werden vorrangig nicht medikamentös behandelt; falls notwendig, achte auf die Auswahl wirkstoffspezifischer und möglichst verträglicher Optionen.
- Schluckstörung, Schmerz, Inkontinenz, Applikationshilfen, Adhärenz und Angehörigenintegration sind wichtige Beratungsthemen in der Offizin.
- Pflanzliche Präparate und Selbstmedikation erfordern Aufklärung zu Wirksamkeit, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen.
- Adhärenzstrategien, Angehörigenberatung und die Weitergabe regionaler Angebote erhöhen die Therapiesicherheit und Versorgungskohärenz.
- Die aktive Koordination und pragmatische Nutzen-Risiko-Abwägung durch die Apotheke sind zentrale Bestandteile einer erfolgreichen Arzneimitteltherapie bei Demenz.
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