Übelkeit und Erbrechen (Nausea und Emesis)
Krankheitsbild
Übelkeit und Erbrechen gehören zu den häufigsten Beschwerden in der Selbstmedikation. Sie sind keine eigenständigen Krankheiten, sondern unspezifische Symptome mit vielfältigen Auslösern. Typisch sind plötzlicher Brechreiz (Nausea), bis hin zum tatsächlichen Erbrechen (Emesis).
Die häufigsten Ursachen in der Selbstmedikation reichen von akuten Magen-Darm-Infekten (Gastroenteritis), ungewohnter oder verdorbener Nahrung, Alkohol, Reisekrankheit (Kinetose), Migräne, starken Gerüchen und psychischen Belastungen bis zu Nebenwirkungen von Arzneistoffen (z. B. Zytostatika, Opioide, Antibiotika). Bei Kindern dominieren meist virale Infekte, bei Erwachsenen häufig Ernährungsfehler oder z. B. Kinetose. In der Frühphase einer Schwangerschaft ist Übelkeit besonders verbreitet.
Pathophysiologisch spielt das Brechzentrum im Hirnstamm die Schlüsselrolle. Zahlreiche Signale (Magen-Darm-Trakt, Gleichgewichtsorgan, Toxine, Emotionen) führen über unterschiedliche Botenstoffe, insbesondere Serotonin, Histamin, Dopamin und Acetylcholin, zur Auslösung oder Hemmung von Übelkeit und Erbrechen.
Die Ziele der Selbstmedikation sind: - Linderung von Symptomen und Verbesserung des Allgemeinbefindens - Vermeidung von Flüssigkeits- und Elektrolytverlust - Unterstützung der Selbstheilung
Selbstmedikation ist grenzwertig, sobald Warnzeichen vorliegen oder Risiken bestehen (z. B. bei Schwangerschaft, Kindern, älteren Menschen oder massiver Dehydratation). Komplizierte, langanhaltende oder schwere Fälle sind hausärztlich bzw. notärztlich abzuklären.
Pharmazeutische Anamnese
Eine gezielte Anamnese ist unverzichtbar, um zwischen harmlosen und gefährlichen Ursachen zu unterscheiden – und eine rationale Auswahl des passenden Arzneimittels zu ermöglichen. Zentrale Aspekte:
- Art der Beschwerden: Nur Übelkeit, wiederholtes Erbrechen, schwallartiges Erbrechen?
- Dauer und Verlauf: Akut oder schon über mehrere Tage?
- Schweregrad: Wie stark ist die Beeinträchtigung? Besteht Gefahr der Austrocknung?
- Begleitsymptome: Fieber, Durchfall, starke Bauchschmerzen, Blut im Erbrochenen, Nackensteife, Sehstörungen, neurologische Symptome?
- Vorerkrankungen: Bekannte Erkrankungen wie Gallensteine, Leber-, Nieren-, oder neurologische Erkrankungen, Migräne?
- Risikokonstellationen: Schwangerschaft, Kleinkinder, Senior:innen, geschwächtes Immunsystem?
- Aktuelle Medikation/Selbstmedikation: Einnahme von Arzneistoffen, die Übelkeit/Erbrechen auslösen oder beeinflussen können (Analgetika, Antibiotika, Zytostatika usw.)?
- Bisherige Maßnahmen: Schon Arzneimittel eingenommen? Welche Wirkung?
Die Antworten steuern direkt die Auswahl und das Beratungsvorgehen.
Nichtmedikamentöse Basismaßnahmen
Nichtmedikamentöse Maßnahmen sind oft der wichtigste Ansatz und können die Arzneimittelbehandlung sinnvoll unterstützen:
- Ruhe und Schonung: Reizarme, ruhige Umgebung schaffen, starke Gerüche meiden
- Flüssigkeitszufuhr: Häufig kleine Mengen trinken – am besten Wasser oder ggf. orale Rehydratationslösungen, vor allem bei Durchfällen
- Kostanpassung: Leicht verdauliche Kost, kleine Portionen, ggf. zeitweise Nahrungspause bei ausgeprägtem Erbrechen
- Frischluft und Belüftung
- Reisekrankheit: Blick auf festen Punkt am Horizont, Fahrtrichtung wählen, Pausen, nicht lesen
- Weiteres: Entspannung, Akupressur am Handgelenk (P6-Punkt), Anwendungen von Wärme oder Kälte nach individueller Verträglichkeit
Diese Maßnahmen werden in Kombination mit Arzneimitteln, je nach Schwere und Ursache, empfohlen.
Arzneimittel
H1-Antihistaminika (z. B. Dimenhydrinat)
Wirkmechanismus
Diese Wirkstoffe blockieren zentrale H1-Histaminrezeptoren und – in geringerem Maß – muskarinische Acetylcholinrezeptoren. Sie hemmen die Reizweiterleitung zwischen Gleichgewichtsorgan, Brechzentrum und Hirnrinde. Besonders bei Reiseübelkeit (Kinetose) und unspezifischer, kurzfristiger Übelkeit sind sie Mittel der Wahl.
Arzneistoffe
- Dimenhydrinat (oral als Tablette, Kaugummi, Tropfen, Zäpfchen; auch für Kinder, aber altersentsprechende Dosierung obrig!)
- Diphenhydramin (seltener, ähnliches Profil)
Wichtige Besonderheiten: Dimenhydrinat ist in vielen Altersgruppen einsetzbar, aber bei sehr jungen Kindern (< 6 Jahren) kontraindiziert.
Beratung
- Dosierung: Nach Bedarf, spätestens 30–60 Minuten vor Reiseantritt einnehmen.
- Dauer: Kurzanwendung empfohlen – keine längerfristige Selbstmedikation
- Wirkungseintritt: Rasch, meist innerhalb 30 Minuten
- Nebenwirkungen: Häufig Müdigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, Sehstörungen. Potenzielle Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit! Anticholinerge Effekte bieten besonderes Risiko bei älteren Menschen (Stürze) und bestimmten Vorerkrankungen.
- Kontraindikationen: Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie mit Restharn, Asthma bronchiale, Epilepsie, Kinder < 6 Jahren (je nach Präparat), bekannte Überempfindlichkeit.
- Wechselwirkungen: Verstärkte Sedierung mit Alkohol, Psychopharmaka, anderen zentraldämpfenden Arzneistoffen. Additive anticholinerge Effekte mit anderen Wirkstoffen.
- Besondere Hinweise: In Schwangerschaft und Stillzeit Nutzen-Risiko-Abwägung (nur wenn zwingend erforderlich), in Rücksprache mit Ärztin/Arzt.
Nach Einnahme von Dimenhydrinat: Kein Autofahren, keine Maschinen bedienen, keine riskanten Tätigkeiten!
Ingwer (Zingiber officinale)
Wirkmechanismus
Ingwer wirkt antiemetisch, vermutlich durch Hemmung der serotonergen Reizweiterleitung im Magen-Darm-Trakt und eine milde Steigerung der Motilität. Seine Wirksamkeit ist am besten bei Reisekrankheit und Übelkeit in der Frühschwangerschaft belegt.
Arzneistoffe
- Ingwerwurzel(-extrakte): Als Kapsel, Tablette, Dragee, Tee, Frischzubereitung
- Standardisierte Präparate sind im Vorteil bezüglich Dosierung und Wirkung.
Beratung
- Dosierung: Je nach Präparat ca. 500–1.000 mg Ingwerpulver/Extrakt pro Tag, verteilt über mehrere Einzeldosen.
- Dauer: Kurzfristig, kein langfristiger Gebrauch ohne Rücksprache.
- Wirkungseintritt: Meist innerhalb von 30–60 Minuten.
- Nebenwirkungen: Gelegentlich Sodbrennen, Magenbeschwerden.
- Kontraindikationen: Erkrankungen der Gallenwege, Gallensteine, Neigung zu Gallen- oder Nierensteinen.
- Schwangerschaft: Eher niedrig dosieren, möglichst rücksprechen. Stillzeit – eine Anwendung nicht grundsätzlich empfohlen.
- Wechselwirkungen: Leichte blutungsfördernde Wirkung möglich, relevant vor Operationen oder bei Antikoagulanzientherapie.
Vitamin B6 (Pyridoxin)
Wirkmechanismus
Vitamin B6 moduliert Neurotransmitter im ZNS und lindert insbesondere Übelkeit in der Frühschwangerschaft. Der Wirkmechanismus ist noch nicht abschließend geklärt.
Arzneistoffe
- Pyridoxin: In Tablettenform, meist als Monopräparat oder in Kombinationspräparaten mit weiteren Vitaminen.
Beratung
- Dosierung: Typischerweise 10–40 mg pro Tag (kurzfristig). Anwendung bei Schwangeren in Absprache mit der Ärztin/dem Arzt.
- Dauer: Zeitlich begrenzt, keine Dauerselbstmedikation.
- Nebenwirkungen: Hochdosiert langfristig Risiko für Neuropathien (sensomotorische Störungen).
- Risiko/Nutzen: Während Schwangerschaft nur nach Rücksprache. In Stillzeit nicht routinemäßig empfohlen.
Milde prokinetische Phytotherapeutika
Wirkmechanismus
Bestimmte Bitterstoffe, ätherische Öle und andere Pflanzeninhaltsstoffe (z. B. aus Artischocke, Pfefferminz, Kümmel, Melisse) fördern die Magen-Darm-Motilität und können Übelkeit bei Völlegefühl und leichter Dyspepsie lindern.
Arzneistoffe
- Kombinationen aus Bitterstoffen (Artischocke, Enzian, Wermut)
- Krampflösende Pflanzenstoffe (Pfefferminzöl, Kümmelöl, Melissenextrakt)
Beratung
- Dosierung: Nach Präparat, kurzfristig und bedarfsorientiert.
- Nebenwirkungen: Selten Magenreizungen, selten Leberprobleme – Warnhinweise zu einzelnen Pflanzen beachten!
- Kontraindikationen: Leber- und Gallenwegserkrankungen, Überempfindlichkeit gegen Inhaltsstoffe.
- Besondere Vorsicht: Bei länger bestehender Symptomatik oder wiederholtem Gebrauch immer Rücksprache!
Ab wann zum Arzt?
Die Grenzen der Selbstmedikation sind eng zu setzen, um schwerwiegende Krankheitsbilder oder Komplikationen nicht zu übersehen.
Warnzeichen für eine verpflichtende ärztliche Abklärung sind:
- Anhaltendes, starkes oder wiederholtes Erbrechen (> 24–48 Stunden ohne Besserung)
- Starke Bauchschmerzen, kolikartige Beschwerden
- Blut im Erbrochenen (hematemesis), Kaffeesatz-artiges Erbrechen
- Schwere Begleitsymptome: hohes Fieber, Schüttelfrost, Dehydration (trockene Schleimhäute, Schläfrigkeit, geringe Urinmengen, stehende Hautfalten)
- Neurologische Auffälligkeiten: Nackensteife, Sehstörungen, Bewusstseinsstörungen, starke Kopfschmerzen, ausgeprägter Schwindel
- Schwangere mit schwerer, protrahierter Symptomatik („Hyperemesis gravidarum“)
- Kinder, ältere Menschen: frühzeitig abklären, niedrigere Schwelle
- Verdacht auf Vergiftung, Arzneimittelüberdosierung
- Verschlechterung, fehlende Besserung nach wenigen Tagen, Wiederholungsfälle
Achtung: Bei bekannten Leber- oder Gallenwegserkrankungen, vermuteter Obstruktion, Appendizitis etc. darf keine Selbstmedikation erfolgen.
Zusammenfassung
| Zentrale Symptome | Wichtige Wirkstoffklassen | Kernaussagen zur Beratung |
|---|---|---|
| Übelkeit, Brechreiz, ggf. Erbrechen, gelegentlich Bauchbeschwerden, ggf. Appetitlosigkeit | - H1-Antihistaminika (Dimenhydrinat) - Ingwer - Vitamin B6 (bei Frühschwangerschaft) - Prokinetische Pflanzentherapeutika (bei Völlegefühl) |
- Ursache abklären, Warnzeichen erkennen - H1-Antihistaminika: Sedierung, anticholinerge Effekte, Interaktionen beachten - Ingwer: Sicher bei Reiseübelkeit, vorsichtig bei Gallenwegserkrankungen/Sodbrennen - Vitamin B6: Gezielt, nicht dauerhaft anwenden - Pharmakologische und nichtmedikamentöse Maßnahmen kombinieren - Schwangere, Kinder und Ältere besonders beachten - Frühe ärztliche Vorstellung bei Warnzeichen oder fehlender Besserung |
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