Schmerzpatienten

Hintergrund und Einordnung

Chronische Schmerzen, die nicht tumorbedingt sind, betreffen viele Patient:innen in der ambulanten Versorgung. Laut Definition spricht man ab einer Dauer von rund drei Monaten oder bei regelmäßig wiederkehrenden Schmerzen von einem eigenständigen Krankheitsbild. Häufig werden biologische, psychologische und soziale Einflussfaktoren wirksam – Schmerz ist also nicht nur ein physisches Symptom.

Für dich in der Apotheke bedeutet das: Schmerzmanagement zielt auf mehr als reine Schmerzlinderung. Im Fokus stehen Funktion im Alltag, Schlafqualität, Aktivitätsniveau und letztlich die Lebensqualität der Betroffenen.

Strukturierte pharmazeutische Betreuung und erste Einschätzung

Im Beratungsgespräch solltest du systematisch vorgehen. Relevante Fragen sind z.B.:

  • Wo genau treten die Schmerzen auf? (Lokalisation)
  • Wie fühlt sich der Schmerz an? (Qualität: dumpf, stechend, brennend, kribbelnd etc.)
  • Gibt es Auslöser oder dämpfende Faktoren?
  • Bestehen Begleitsymptome wie Erschöpfung oder Schlafprobleme?
  • Wie häufig und in welcher Dosis werden Schmerzmittel angewendet (inkl. Selbstmedikation)?

Erkenne verschiedene Schmerztypen:

  • Nozizeptive Schmerzen: ausgelöst durch Gewebeschädigung, z.B. Arthrose, Rückenschmerz.
  • Neuropathische Schmerzen: Folge einer Nervenläsion (z.B. Brennen, Kribbeln, elektrisierende Schmerzen).
  • Noziplastische Schmerzen: Reizverarbeitung gestört, z.B. Fibromyalgie; oft diffuse Überempfindlichkeit, Schlafstörungen.

Frage explizit auch nach frei verkäuflichen Analgetika, Salben oder Kombinationspräparaten. Unbemerkte Daueranwendungen und Risiken wie Kopfschmerz durch Übergebrauch kommen häufiger vor, als viele denken.

Warnsignale (Red Flags)

Manche Situationen erfordern sofortige ärztliche Klärung oder Notfallversorgung:

  • Plötzliche Änderung des gewohnten Schmerzmusters
  • Neurologische Ausfälle (z.B. Lähmungen, Taubheitsgefühl)
  • Fieber, schweres Krankheitsgefühl, unklarer Gewichtsverlust
  • Neue, starke Nachtschmerzen
  • Hinweise auf Blutungen (z.B. schwarzer Stuhl)
  • Starke Sedierung oder Atemprobleme unter ZNS-wirksamen Arzneistoffen

In diesen Fällen ist eigenständiges Handeln in der Apotheke nicht mehr angezeigt – leite konsequent an Arztpraxis oder Notdienst weiter!

Nicht-medikamentöse Maßnahmen stärken

Chronische Schmerzsyndrome lassen sich langfristig selten allein medikamentös lösen. Baue folgende Elemente in die Beratung ein:

  • Bewegungsaufbau und aktive Alltagsgestaltung (statt Schonung)
  • Anwendung von Wärme (z.B. Wärmepflaster) oder Kälte, je nach Schmerztyp
  • Entspannungstechniken und Förderung von Schlafhygiene
  • Strukturierung des Tagesablaufs

Oft hilft es, Patient:innen zu ermutigen, kleine Schritte Richtung Aktivität zu gehen und Erfolge auch ohne vollständige Schmerzfreiheit anzuerkennen.

TipKommunikation auf Augenhöhe

Sprich wertfrei und nachvollziehbar. Nimm Schmerzen ernst, vermeide Katastrophisierung, und vermittle realistische Therapieziele: Ziel ist Verbesserung, nicht immer komplette Schmerzfreiheit.

Arzneimittel: Auswahl, Besonderheiten und Beratung

Nicht-Opioid-Analgetika

  1. Paracetamol
    Kurzzeiteinsatz ist möglich, aber: Beachte die maximale Tagesdosis (meist 4g, bei Leberfunktionseinschränkung oder älteren Patient:innen weniger). Vorsicht bei Kombination mit weiteren paracetamolhaltigen Präparaten! Paracetamol kann bei Überdosierung lebertoxisch wirken – aufklären und auf Alkohol- bzw. Leberschäden achten.

  2. Metamizol
    Setze auf Metamizol nur, wenn Alternativen nicht passend sind. Informiere über das (seltene, aber schwerwiegende) Risiko einer Agranulozytose. Bei Fieber, Halsschmerzen oder Schleimhautveränderungen: sofort ärztliche Kontrolle.

  3. NSAR (z.B. Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen)
    Wirksam, aber bei Daueranwendung risikobehaftet:

  • Mögliche Nebenwirkungen: gastrointestinale Blutungen (auch ohne Warnzeichen), Nierenfunktionsverschlechterung, Blutdruckanstieg, kardiovaskuläre Ereignisse.
  • Typische Risikofaktoren prüfen: Alter >65, Ulkus- oder Blutungsanamnese, Antikoagulanzien/Thrombozytenaggregationshemmer, Kombination mit anderen NSAR, Glukokortikoide, Herz-, Leber- oder Niereninsuffizienz.
  • Achtung bei gleichzeitiger Einnahme von RAS-Hemmern + Diuretikum + NSAR (“Triple Whammy”): erhöhtes Risiko für akutes Nierenversagen.
  • Reduziere Einnahmedauer, dosiere so niedrig wie möglich. Magenschutz kann notwendig sein, schützt aber nicht vor allen Risiken.

Topische NSAR sind bei lokal begrenzten muskuloskelettalen Schmerzen meist nebenwirkungsärmer – überprüfe Hautverträglichkeit und korrekte Anwendung.

Arzneistoffgruppen im Überblick

Arzneistoffgruppe Wirkmechanismus Typisches Risiko/Besonderheit Beispiel
Paracetamol Hemmt zentral COX, analgetisch, antipyretisch Lebertoxizität bei Überdosierung Paracetamol
NSAR Hemmt peripher COX, antiinflammatorisch GI-Blutung, Nieren- u. kardiovaskuläres Risiko Ibuprofen, Diclofenac
Metamizol Unklar, analgetisch, spasmolytisch Agranulozytose, Hypotonie (v.a. i.v.), Allergien Metamizol
Lokalanästhetika Blockiert periphere Nervenleitung Hautreaktionen, systemische Toxizität (bei Fehldosierung) Lidocain-Pflaster
Antikonvulsiva, Antidepressiva Modulation zentraler Schmerzverarbeitung Sedierung, Sturzgefahr, Wechselwirkungen Amitriptylin, Gabapentin

Neuropathische Schmerzen

Klassische Analgetika sind oft unzureichend. Zur Behandlung werden Co-Analgetika wie bestimmte trizyklische Antidepressiva (z.B. Amitriptylin) oder Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin, Pregabalin) eingesetzt. Erläutere die verzögerten Wirkeintritt und die Notwendigkeit vorsichtiger Dosistitration.

Typische unerwünschte Wirkungen: Mundtrockenheit, Obstipation, Sedierung, Schwindel, Sturzrisiko und, je nach Substanz, Blutdruckabfall. Hier kann es zu Wechselwirkungen mit anderen zentral dämpfenden oder serotonergen Arzneistoffen kommen – sei aufmerksam bei Polypharmazie!

Gabapentinoide haben ein gewisses Missbrauchspotenzial. Beachte risikoerhöhende Faktoren (z.B. Niereninsuffizienz, bereits bestehender Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch) und kläre über Entzugsrisiken auf.

Bei lokal begrenzten neuropathischen Schmerzen kann ein Pflaster mit Lokalanästhetika (z.B. Lidocain) sinnvoll sein – weise Patient:innen auf die korrekte Anwendung und die regelmäßige Kontrolle der Haut hin.

Opioide

Im Bereich chronischer nicht tumorbedingter Schmerzen sollten Opioide immer nur als zeitlich befristeter, streng überwachter Therapieversuch innerhalb eines Gesamtkonzepts erfolgen. Praktische Hinweise:

  • Dauerverordnungen ohne Nutzenkontrolle vermeiden.
  • Erkläre die häufigsten Nebenwirkungen (Sedierung, Übelkeit, vor allem Obstipation).
  • Betone, dass praktisch jede Opioid-Therapie eine prophylaktische Obstipationsbehandlung braucht (Ballaststoffe, ausreichend Flüssigkeit, ggf. Laxans).
  • Warne vor besonders riskanten Kombinationen (Opioide plus Benzodiazepine, Alkohol, andere dämpfende Substanzen).
  • Kläre über Risiken wie Atemdepression und Sturzgefahr auf.
  • Bei Anzeichen von Missbrauch/Missbrauchspotenzial (frühe Nachforderungen, Dosissteigerungen ohne Rücksprache) ziehe den/die verordnenden Arzt/Ärztin hinzu.

Typische Fallstricke und praktische Tipps

  • Frage nach der Häufigkeit und Dosis der Selbstmedikation – viele Patient:innen unterschätzen die Risiken bei Dauergebrauch von Analgetika.
  • Unterstütze Patient:innen beim Führen eines Einnahmetagebuchs.
  • Achte auf Zeichen von Unverträglichkeiten, Therapieversagen oder Übergebrauch.
  • Kontrolliere regelmäßig, ob Therapieziele erreicht sind und passe ggf. Empfehlungen an.
  • Berücksichtige Psychosomatik und sprich psychische Belastungen oder depressive Verstimmung sensibel und stigmafrei an.

Interaktionen und Überwachung

Analgetika und Begleitmedikation können zahlreiche relevante Interaktionen auslösen, z.B.:

  • NSAID + Antikoagulantien/SSRI/Glukokortikoide: erhöhtes Blutungsrisiko
  • SSRIs + bestimmte Analgetika (Tramadol): Risiko für Serotoninsyndrom
  • Kombination mehrerer zentral dämpfender Mittel: Gefahr von Sedierung, Sturz, Atemdepression
  • Gabapentinoide: Gefahr von Additivität mit anderen dämpfenden Substanzen, Missbrauch

Das Management komplexer Schmerzregime profitiert von regelmäßiger Medikationsanalyse.

Grenzen der Apothekenbetreuung und Zusammenarbeit

Nicht jede Situation ist in der Apotheke zu lösen. Insbesondere bei Warnzeichen, schwerwiegenden Interaktionen, unzureichendem Nutzen oder psychosozialen Problemen sollte eine ärztliche oder fachübergreifende Betreuung empfohlen werden. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist in schmerztherapeutischen Fällen oft essenziell, z.B. mit Schmerzambulanzen, psychologischer Betreuung oder Physiotherapie.

Zusammenfassung

  • Chronische Schmerzen sind meist multifaktoriell und dauerhaft; die Beratung zielt über reine Schmerzkontrolle hinaus.
  • Strukturiere das Beratungsgespräch nach Schmerzart, Häufigkeit, Qualität, Auslösern und Begleitsymptomen.
  • Kläre explizit zur Anwendung und möglichen Risiken der Analgetika auf – insbesondere bei NSAR und Paracetamol.
  • Nicht-medikamentöse Maßnahmen, Bewegungsaufbau und Tagesstruktur sind oft wichtiger als kurzfristige Schmerzreduktion.
  • Coadjuvante Arzneimittel (z.B. Antidepressiva, Antikonvulsiva) werden nach Indikation eingesetzt; Aufklärung über Nebenwirkungen und Interaktionen ist entscheidend.
  • Opioide nur befristet und unter klarer Risikoaufklärung – Obstipationsprophylaxe darf nie fehlen.
  • Überwache regelmäßig das Schmerzmanagement, erkenne und kommuniziere die Grenzen der Selbstmedikation.
  • Bei Red Flags, Therapieversagen oder Verdacht auf Fehlgebrauch: ärztliche Abklärung oder Überweisung zeitnah anbahnen.
  • Interprofessionelle Zusammenarbeit und empathische, wertfreie Kommunikation sind Schlüssel für den Erfolg in der Betreuung von Schmerzpatienten.

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