Leberinsuffizienz und Zirrhose
Hintergrund: Leberinsuffizienz und Zirrhose im Überblick
Bei einer fortgeschrittenen Schädigung der Leber, wie sie bei einer Leberzirrhose entsteht, sind zahlreiche Stoffwechsel-, Synthese- und Entgiftungsfunktionen der Leber massiv beeinträchtigt. Besonders im Vordergrund stehen dabei Komplikationen wie Aszites, hepatische Enzephalopathie, Infektionen und verschiedene renale und pulmonale Syndrome. Die Rolle der Apotheke umfasst dabei die sichere Arzneimittelauswahl, Überprüfung komplexer Therapieschemata und die umfassende Beratung von Patient:innen und Angehörigen.
Die Betreuung ist anspruchsvoll, da Polypharmazie, häufige Begleiterkrankungen, ein erhöhtes Risiko für Arzneimittelinteraktionen und die Notwendigkeit von individuellen Dosisanpassungen die Pharmakotherapie bestimmen. Fehler können schwere, teils lebensbedrohliche Folgen haben.
Komplikationen und ihre Bedeutung im Apothekenalltag
Aszites
Klinischer Hintergrund:
Aszites ist eine häufige Komplikation bei Zirrhose und entsteht durch portale Hypertension und gestörte Natrium- und Wasserhomöostase. Eine vollständige Normalisierung ist oft nicht das Ziel – vielmehr steht die Kontrolle der Symptome und die Reduktion der Flüssigkeitsmengen im Vordergrund.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen:
Eine protein- und energiereiche Ernährung ist essenziell – eine Eiweißrestriktion ist zu vermeiden! Lediglich bei schwer kontrollierbarem Aszites kann eine Kochsalzrestriktion sinnvoll sein. Flüssigkeitsrestriktion ist meist nur bei starker Hyponatriämie indiziert.
Medikamentöse Therapie:
Therapeutisch werden meist Spironolacton (Aldosteronantagonist, Beispielwirkstoff) und bei unzureichender Wirksamkeit zusätzlich Furosemid (Schleifendiuretikum) eingesetzt. Die Wirkung zeigt sich stufenweise und die Kombination der beiden Wirkstoffe wird oft im Verhältnis 100:40 mg eingesetzt und bei Bedarf angepasst.
Überwachung & Beratung in der Apotheke:
Achte besonders auf Hinweise für Nebenwirkungen wie:
- Dehydratation und Schwindel
- Hyponatriämie, Hyperkaliämie
- Muskelkrämpfe, kognitive Eintrübungen
- Neu auftretende Nierenfunktionsstörungen
Warnhinweise (Schwere Komplikationen dringend an ärztliche Stelle adressieren!):
- Plötzliche Gewichtszunahme / -abnahme
- Blutdruckabfall, starke Schwäche
- Rückgang der Urinmenge
- Neu auftretendes Fieber oder starke Bauchschmerzen (Infektzeichen!)
Arzneimittelrisiken bei Zirrhose
Patient:innen mit Zirrhose sind besonders empfindlich für Arzneistoffe mit:
- Renaler oder zentraler Toxizität (z.B. NSAID, ACE-Hemmer, Sartan, bestimmte Vasodilatatoren)
- Potenziell nephrotoxischen Effekten (z.B. einige Antiinfektiva)
Der Einsatz dieser Arzneistoffe sollte immer kritisch überprüft und ggf. mit ärztlicher Rücksprache eingeschränkt oder vermieden werden. Vasopressinantagonisten sind zur Langzeitbehandlung von Aszites nicht geeignet.
Die Dosisanpassung bei leber- und nierengängigen Arzneistoffen (z.B. Antibiotika, Psychopharmaka, Opioide) ist obligatorisch.
Zentrale pharmazeutische Aufgaben
- Strukturiertes Medikationsmanagement: Kontinuierliche Erfassung aller Arzneimittel inklusive OTC-Präparate; Erkennen und Ansprache von Doppelverordnungen und Kontraindikationen.
- Fokus auf Interaktionen: Polypharmazie und eingeschränkte Metabolisierung führen zu erhöhtem Interaktionsrisiko, u.a. mit ZNS-dämpfenden Substanzen, Blutgerinnungshemmern, Antiinfektiva und Diuretika.
- Adhärenzförderung: Weitergabe klarer Einnahmehinweise, Unterstützung beim Beantragen und Verwalten von Medikationsplänen.
- Schulung zu Warnzeichen: Sensibilisierung der Patient:innen für Symptome, die eine sofortige ärztliche Abklärung erfordern.
- Enge Kooperation mit Ärzten und Kliniken: Gerade bei akuter Verschlechterung sind zügige Rückmeldungen und Anpassungen nötig.
Spezielle Komplikationen und deren pharmazeutische Betreuung
Infektionen des Aszitesraumes (z.B. spontane bakterielle Peritonitis)
Typische Auslöser:
Spontan oder nach Punktion auftretende bakterielle Infektion, oft als Dekompensationsereignis.
Therapie:
- Initial breitspektrumige Antibiotikatherapie (Beispiele: Cefotaxim [Cephalosporin, hemmt Zellwandsynthese], Piperacillin/Tazobactam)
- Frühzeitige Anpassung nach Erregernachweis / Resistenz
- Albuminzufuhr zur Stabilisierung der Nierenfunktion
Pharmazeutischer Praxisbezug:
- Überwachung auf Volumenüberladung, Dyspnoe, Elektrolytverschiebungen (insbesondere bei kardial Vorerkrankten!)
- Informiere Patient:innen klar über Warnzeichen wie Fieber, Unwohlsein, starke Bauchschmerzen
- Achte auf potenzielle Allergien, QT-Zeit-Verlängerung (v.a. bei Fluorchinolonen wie Ciprofloxacin), Tendopathiegefahr und Interaktionspotenzial
Hepatorenales Syndrom (HRS)
Ein akutes Nierenversagen, das nicht durch andere Ursachen erklärt werden kann und oft mit dramatisch verschlechternder Prognose einhergeht. Die Therapie besteht aus:
- Pausierung aller potentiell nephrotoxischen Arzneimittel (NSAID, Diuretika, RAS-Hemmer)
- Gabe von Albumin und Vasokonstriktoren (z.B. Terlipressin, ein Vasopressinanalogon, wirkt durch Engstellung der Blutgefäße und Verbesserung der Nierendurchblutung)
- Ggf. temporär Nierenersatzverfahren zur Überbrückung
Apothekenrelevanz:
Anpassung leberausscheidender sowie nephrotoxischer Arzneistoffe, Beratung zu OTC-Risiken und Notwendigkeit sehr enger Kontrolle des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts.
Hepatische Enzephalopathie (HE)
Ein reversibles Funktionsdefizit des Gehirns, das durch Toxine (insb. Ammoniak) entsteht. Erhöhtes Sturzrisiko, Bewusstseinsstörungen bis Koma.
Therapie:
- Nicht-resorbierbare Disaccharide (z.B. Lactulose, als osmotisches Laxans, gezieltes Abführen, Ziel: weicher Stuhl 2-3x/Tag, ohne Exsikkose)
- Ggf. lokal wirksames Darmantibiotikum (z.B. Rifaximin, reduziert ammoniakbildende Darmbakterien)
Pharmazeutische Betreuung:
- Genaue Einnahmeanleitung, Aufklärung über gewünschte und unerwünschte Wirkungen (Blähungen, Diarrhö, Elektrolytmangel)
- Beratung zur Sicherstellung ausreichender Flüssigkeitszufuhr (außer bei strikter Hyponatriämie!)
- Strikte Zurückhaltung bei ZNS-dämpfenden Substanzen: Opioide, Benzodiazepine, Neuroleptika vermeiden oder niedrig dosieren!
- Unbedingt auf Fahrtüchtigkeit, Sturzrisiko und Konzentrationsfähigkeit hinweisen
Interventionen und periinterventionelle Betreuung
Patient:innen erhalten bei therapierefraktärem Aszites oft wiederholte Punktionen oder erfahren andere interventionelle Verfahren. Die Apotheke unterstützt durch:
- Abklärung perioperativer Medikation (z.B. Thrombozytenaggregationshemmer, orale Antikoagulanzien: Pause ja/nein? Rücksprache mit behandelnden Ärzt:innen!)
- Aufklärung zu Blutungsrisiken und Thromboembolieschutz
- Überwachung auf Zeichen einer Infektion oder Volumenmangel nach Punktion (Fieber, Schwindel, Hypotonie, reduzierter Harn)
Wichtige patientenorientierte Beratungsaspekte
- Vermittlung klarer Handlungspläne für Warnzeichen: Fieber, neu aufgetretene oder zunehmende Bauchschmerzen, rasche Gewichtszunahme, Atemnot, Blutdruckabfall, Verwirrtheit, Zittern, stark verminderte Urinmenge, Blutabgang im Stuhl oder Erbrechen.
- Ermutigung zur regelmäßigen Gewichtskontrolle und zur frühzeitigen Rückmeldung bei Problemen.
- Aufklärung zu notwendigen Impfungen und Infektionsprophylaxe.
- Regelmäßige Prüfung, ob die Indikation für z.B. Protonenpumpeninhibitoren noch besteht (Risiko für Infekte und Vitaminmangel!), ebenso Minimierung unnötig sedierender Ko-Medikation.
Frühe Anzeichen für bedrohliche Nebenwirkungen sind: - Schwindel, starke Schwäche - Muskelkrämpfe, kognitive Verschlechterung - Blutdruckabfall - Rascher Kreatininanstieg im Laborbefund - Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit
Bei diesen Warnzeichen ist die Diuretikatherapie kritisch zu prüfen und ggf. zu pausieren.
Zusammenfassung
- Bei Patient:innen mit Leberzirrhose besteht ein hohes Komplikations- und Interaktionsrisiko; besonders relevant sind Aszites, Infektionen, Enzephalopathie und hepatorenales Syndrom.
- Die Auswahl, Kombination und Dosisanpassung von Arzneistoffen erfordert praxisnahe, engmaschige Überwachung und ständige Reevaluation.
- Eine zentrale Aufgabe der Apotheke ist die Früherkennung von Nebenwirkungen und Komplikationen – insbesondere unter Diuretika und Antiinfektiva – und die Kommunikation mit Ärzt:innen bei kritischen Veränderungen.
- Polypharmazie und eingeschränkte Organfunktionen erhöhen das Risiko von Interaktionen und Intoxikationen erheblich.
- Adhärenz, richtige Einnahme und Warnzeichenmanagement stehen im Apothekeralltag an vorderster Stelle, ergänzt durch die individuelle Patientenschulung und interprofessionelle Abstimmung im Gesundheitsnetzwerk.
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