Immunsuppression
Hintergrund: Was bedeutet Immunsuppression in der Praxis?
Immunsuppression bedeutet eine gezielte Abschwächung des Immunsystems – entweder als notwendige Therapie bei Organtransplantation, Autoimmunerkrankungen oder Krebserkrankungen. Für Patient:innen bedeutet das v.a. ein erhöhtes Infektionsrisiko, eine veränderte Impfantwort und häufig komplexe Arzneimittelregime mit engem therapeutischem Fenster. Die Intensität und Art der Immunsuppression hängen stark von der zugrunde liegenden Erkrankung, der eingesetzten Substanz und der jeweiligen Begleitmedikation ab.
Zu den typischen Wirkstoffgruppen gehören:
- Calcineurin-Inhibitoren (z. B. Ciclosporin, Tacrolimus): Hemmen T-Zell-Aktivierung, steigern das Risiko für Infektionen und Nephrotoxizität.
- Antimetaboliten (Methotrexat, Azathioprin, Mycophenolat): Blockieren Zellteilung, u. a. durch Hemmung der Nukleinsäuresynthese.
- Biologika (z. B. TNF-α-Blocker wie Infliximab, IL-Inhibitoren): Modulieren gezielt einzelne Immunprozesse, z. B. in der Rheumatologie.
- JAK-Inhibitoren (z. B. Tofacitinib, Baricitinib): Blockieren Signaltransduktion im Immunsystem.
- Kortikosteroide (z. B. Prednisolon): Bremsen Entzündungsreaktionen vielfältig, gehen aber mit zahlreichen Stoffwechsel-Nebenwirkungen einher.
- Klassische Zytostatika: Hemmen die Zellproliferation, führen zu einer generalisierten Immunsuppression.
Eine passgenaue pharmazeutische Betreuung setzt voraus, die individuelle Immunsuppression und deren Folgen zu kennen – sowohl pharmazeutisch als auch therapeutisch.
Medikationsanalyse und Anamnese
Der erste Schritt in der Offizin ist eine umfassende und strukturierte Medikationsanamnese. Dabei solltest du alle verschriebenen und selbst gekauften Arzneimittel erfassen:
- Arztverordnete Arzneimittel
- Selbstmedikation und OTC-Präparate (z. B. NSAR, pflanzliche Mittel, Nahrungsergänzungsmittel)
- Phytotherapeutika (z. B. Johanniskraut)
- Drogen/Konsumgüter wie Alkohol, Nikotin oder Cannabis
Gerade bei immunsupprimierten Patient:innen können scheinbar harmlose OTC-Präparate zu relevanten Interaktionen oder Nebenwirkungen führen. Beispielsweise kann hochdosiertes Vitamin E/A zu Komplikationen beitragen, Johanniskraut den Spiegel von Immunsuppressiva gefährlich senken oder „Immunbooster“ ohne Nutzen sogar schaden.
Interaktionsmanagement bei Immunsuppressiva
Viele Immunsuppressiva werden über CYP-Enzyme (v. a. CYP3A4) und/oder Transportproteine wie P-Glykoprotein verstoffwechselt. Schon kleine Schwankungen können zu Untertherapie (Risiko für Abstoßung/Rückfall) oder Toxizität führen.
Relevante Interaktionspartner und deren Folgen:
| Interaktionspartner | Typische Immunsuppressiva betroffen | Mögliche Folge | Mechanismus |
|---|---|---|---|
| Azol-Antimykotika | Tacrolimus, Ciclosporin, Sirolimus | Spiegelanstieg, Toxizität | CYP3A4-Inhibition |
| Makrolidantibiotika | Tacrolimus, Ciclosporin | Spiegelanstieg, Toxizität | CYP3A4-Inhibition |
| Johanniskraut | nahezu alle (v. a. Calcineurininhibitoren) | Spiegelabfall, Therapieversagen | CYP3A4-Induktion |
| Rifampicin, Phenytoin | Calcineurininhibitoren, Mycophenolat | Spiegelabfall, Therapieversagen | CYP3A4/UGT-Induktion |
| Grapefruit/Granatapfel | Tacrolimus, Ciclosporin | Spiegelanstieg, Toxizität | CYP3A4-Inhibition (intestinal) |
| Allopurinol/Febuxostat | Azathioprin | massive Toxizität (Myelosupp.) | Xanthinoxidase-Inhibition |
| NSAR | Methotrexat, Calcineurininhibitoren | erhöhte Toxizität | Renale Elimination/GFR, COX-Inhg. |
| Trimethoprim | Methotrexat | Knochenmarktoxizität | Synergistische Wirkung |
| Protonenpumpenhemmer | Methotrexat (hochdosiert) | Anstieg des MTX-Spiegels | Beeinflussung der Elimination |
| Antazida/Cholestyramin | Mycophenolat | Verringerte Resorption | Bindung/Komplexierung im Darm |
Zur Risikoreduzierung gehört:
- Check auf gefährliche Wechselwirkungen bei jeder neuen Arzneimittelabgabe (insb. auch bei OTC/Phytotherapie).
- Im Zweifel Rücksprache mit der behandelnden Ärztin/dem behandelnden Arzt.
- Patienten aktiv vor bekannten (z. B. Grapefruit-) Wechselwirkungen warnen.
Bei Kombination von Azathioprin und Allopurinol/Febuxostat ist zwingend eine ärztliche Dosisanpassung erforderlich – ohne Dosisreduktion droht eine schwere Myelosuppression!
Anwendung, Adhärenz und praktische Betreuung
Die korrekte und konsequente Anwendung bestimmt den Therapieerfolg maßgeblich. Folgende Aspekte solltest du in der Beratung abdecken:
- Feste Einnahmezeitpunkte und klare Abläufe bei vergessenen Dosen (individuelle Regelung, z. B. nicht einfach Dosis „nachholen“!)
- Korrekte Applikation und Lagerung (z. B. Kühlkette und Injektionsschulung bei Biologika)
- Regelmäßige Überprüfung von Doppelverordnungen oder Überlappungen ähnlich wirkender Präparate (z. B. Steroid plus Biologikum)
- Beratung zur frühzeitigen Nachbestellung (Lieferengpässe, Rezeptmanagement)
- Dokumentation und Überwachung von Medikationsplänen
Adhärenzprobleme sind häufig und müssen offen angesprochen werden – nicht nur bei klassischen Tabletten, sondern auch bei subkutan/intravenös injizierten Arzneimitteln oder komplexen Therapieschemata.
Infektionsprophylaxe und Risikominimierung
Du solltest Patient:innen gezielt zu Maßnahmen beraten, die das Infektionsrisiko senken:
- Vermeide Kontakt zu Personen mit akuten Infekten – besonders bei Kindern, Herpes zoster/Varizellen, Influenza.
- Hygieneregeln: Häufiges Händewaschen, Nahrungsmittelhygiene (kein rohes Fleisch/Fisch, Rohmilchprodukte meiden), besondere Vorsicht auf Reisen.
- Früherkennung: Bei Fieber (≥38°C), Schüttelfrost, neuem Husten, Atemnot, Hautbläschen, Verwirrtheit oder ausgeprägtem Krankheitsgefühl immer sofort zum Arzt.
- Bei typischen Symptomen wie Dyspnoe, Nackensteife, schmerzhafte orale Läsionen… → schnelle ärztliche Vorstellung!
- Selbstmedikation: Paracetamol ist (sofern keine Kontraindikationen bestehen) meist erste Wahl bei Fieber/Schmerzen. NSAR (z. B. Ibuprofen, Diclofenac) sind kritisch bei Nierenfunktionsstörungen oder unter Ciclosporin/Tacrolimus.
- Viele Immunbooster-Präparate oder Vitaminkombinationen sind wirkungslos oder sogar riskant.
Impfmanagement
Impfungen sind ein zentraler Bestandteil der Betreuung – aber unter Immunsuppression gibt es Besonderheiten:
- Totimpfstoffe sind in der Regel sicher, die Impfantwort ist aber reduziert. Optimalerweise werden notwendige Impfungen vor Therapiebeginn oder vor Therapieintensivierung gegeben.
- Indikationsimpfungen: Jährlich Influenza, regelmäßig Pneumokokken, nach individueller Indikation COVID-19, Hepatitis B, FSME (bei Risikopatienten).
- Lebendimpfstoffe sind meist kontraindiziert, solange eine relevante Immunsuppression besteht. Bei Unsicherheit ärztliche Rücksprache, keine eigenständige Abgabe!
- Haushaltskontakte und enge Bezugspersonen sollten geimpft und über Hygiene informiert werden („Cocooning“).
Monitoring und Kommunikation
Apotheken spielen eine Schlüsselrolle beim Monitoring und in der Kommunikation zwischen Patient, Arztpraxis und ggf. Pflege:
- Über Todeszeichen und entsprechende Anzeichen von Toxizität und Infektion aktiv und patientengerecht aufklären.
- An notwendige Laborkontrollen (Blutbild, Leber- und Nierenwerte, ggf. Lipide, CRP) regelmäßig erinnern.
- Besonderheiten und Red Flags kennen: z. B. MTX (Stomatitis, Pneumonitis, Infektanfälligkeit), Ciclosporin/Tacrolimus (Tremor, Hypertonie, Kopfschmerzen), Steroide (Osteoporose, Diabetes).
- Therapieprophylaxe nicht aus den Augen verlieren: Cotrimoxazol oder antivirale Prophylaxe gewissenhaft einnehmen lassen.
- Bei Verdacht auf Nebenwirkungen, Therapieversagen oder Interaktionen immer den Kontakt zu behandelnden Ärzt:innen suchen.
- Einen festen Ansprechpartner und klar dokumentierte Medikationspläne anbieten.
- Patient:innen auf Notfallsituationen und Besonderheiten (Reisen, geplante OPs/Zahnbehandlungen, Kontakte mit Infektionskranken) vorbereiten.
Zusammenfassung
- Immunsupprimierte Patient:innen benötigen besonders intensive Betreuung und Überwachung, da Infektionen und Interaktionen oft schwer verlaufen.
- Immer vollständige Medikationsanamnese (inkl. OTC und „harmlose“ Mittel) und Interaktionscheck machen – bekannte Risikokonstellationen früh ansprechen.
- Anwendungskompetenz und Adhärenz sichern: Einnahmeregeln, Applikationsschulung und Management vergessener Dosen vermitteln.
- Hygiene und Infektionsschutz inkl. Impfempfehlungen (Achtung Lebendimpfstoffe!) sind ein zentraler Beratungsgegenstand.
- Frühwarnzeichen (Fieber, Atemnot, Stomatitis, Verwirrtheit etc.) müssen klar kommuniziert werden – im Zweifel immer zur Abklärung schicken.
- Monitoring unterstützen: Wiederholungskontrollen, dokumentierte Therapiepläne, regelmäßige Rücksprachen mit Ärzten fördern Therapieerfolg und Patientensicherheit.
Immunsuppression bleibt ein komplexes Therapiefeld, in dem die Apotheke einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit, Prävention und Therapietreue leisten kann – und so maßgeblich zur Lebensqualität der Betroffenen beiträgt.
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