Niereninsuffizienz
Hintergrund und Bedeutung
Eine chronische Einschränkung der Nierenfunktion betrifft viele ältere und multimorbide Patient:innen in der Apotheke. Die Nieren sind das wichtigste Organ zur Ausscheidung zahlreicher Arzneistoffe und zur Regulation von Blutvolumen, Elektrolyten und Blutdruck. Die Erkrankung ist meist schleichend, und nicht selten werden Probleme erst anhand von Nebenwirkungen oder Arzneimittelinteraktionen offensichtlich. In der pharmazeutischen Betreuung stehen daher folgende Aufgaben im Vordergrund:
- Einschätzung der Nierenfunktion anhand praxisnaher Laborparameter (v.a. geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) und Albumin-Kreatinin-Quotient)
- Anpassung von Arzneimitteln und Überprüfung der Verordnungssicherheit
- Monitoring von Nebenwirkungen, Interaktionen und speziellen Risikokonstellationen
Die Grenzen der Apothekenversorgung liegen vor allem in der Diagnostik und Therapieentscheidung – bei Hinweisen auf akute Verschlechterung, schweren Komplikationen oder Therapieproblemen muss die ärztliche/nephrologische Rücksprache erfolgen.
Zentrale Laborparameter im Apothekenalltag
- Serum-Kreatinin (und daraus berechnete eGFR): Basismarker zur Einschätzung der Nierenleistung
- Albumin-Kreatinin-Quotient im Urin: Frühes Zeichen für Nierenschädigung (Albuminurie)
- Kalium, Natrium, Blutdruck: Für die Verträglichkeit und Sicherheit der Arzneimitteltherapie (insb. bei RAS-Blockade, Diuretika, SGLT2-Hemmern etc.)
Weitere Laborkontrollen (z.B. Phosphat, Parathormon, Hämoglobin) sind je nach Stadium, Begleitmedikation und Beschwerden wichtig.
Prinzipien der medikamentösen Betreuung
1. Arzneimittelwahl und Dosisanpassung
Vor jeder Neueinstellung (ärztlich oder als Selbstmedikation) und jeder Abgabe:
- Prüfe, ob der Arzneistoff überwiegend renal eliminiert wird oder aktive Metaboliten gebildet werden
- Berücksichtige, ob eine Dosisanpassung oder ein verlängertes Dosierungsintervall nötig ist
- Achte auf spezielle Kontraindikationen bei fortgeschrittener Nierenfunktionsstörung
Typische Substanzklassen, die kritisch bewertet werden müssen:
| Arzneistoffgruppe | Hinweise zur Niereninsuffizienz | Beispiel / Besonderheit |
|---|---|---|
| Metformin | Dosisanpassung bei eGFR < 45 ml/min, Absetzen < 30 ml/min; Risiko der Laktatazidose in Akutsituationen | Metformin (orale Antidiabetika) |
| SGLT2-Hemmer | Wirkverlust bei sehr niedriger eGFR, Infektrisiko, Dehydratation | Empagliflozin |
| NSAR | Nur kurzfristig und niedrig dosiert, Kontraindikation bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz; Risiko für Verschlechterung | Ibuprofen |
| Opioide | Achte auf renale Elimination aktiver Metaboliten und Dosisanpassung | Morphin: Kumulationsgefahr |
| Gabapentinoide | Erhöhtes Sedierungs- und Sturzrisiko, Dosisreduktion essentiell | Gabapentin |
| DOAK (direkte orale Antikoagulanzien) | Dosisanpassung nach eGFR, Monitoring Blutungsrisiko | Apixaban, Dabigatran |
2. Monitoring und Medikationsüberprüfung
Je nach Patientengruppe ist ein regelmäßiger Medikationscheck wichtig, besonders bei:
- Polypharmazie
- Senioren
- Komorbiditäten mit erhöhtem Risiko (Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen)
Auch OTC-Präparate, pflanzliche Mittel und Nahrungsergänzungsmittel können Nierenfunktion und Elektrolythaushalt beeinflussen. Achte besonders auf nephrotoxische Substanzen wie hochdosierte Vitamin-D-Präparate, Phosphatbinder, NSAR oder bestimmte pflanzliche Präparate (z.B. Aristolochiasäure, Bärentraubenblätter).
3. Management akuter Belastungssituationen
Akute Infekte, Fieber, Dehydratation (z.B. Durchfall, Schwitzen, reduzierte Trinkmenge) erhöhen das Risiko ernster Nierenkomplikationen und erfordern ein besonders sorgfältiges Arzneimittelmanagement:
- Soweit vertretbar, aussetzen von potenziell nephrotoxischen oder stark renal eliminierten Arzneistoffen
- Patient:innen auf Anzeichen einer Verschlechterung hinweisen (Schwindel, reduzierte Urinmenge, Gewichtszunahme, Ödeme, Atemnot)
- Bei Unsicherheiten oder auffälligen Beschwerden: Ärztliche Rücksprache empfehlen
Die Kombination aus Renin-Angiotensin-System-Blockade (z.B. ACE-Hemmer), Diuretikum und NSAR kann die Nierendurchblutung gefährlich beeinträchtigen. Diese Arzneimittelkombination möglichst vermeiden, insbesondere bei Risikosituationen wie Exsikkose oder Älteren!
4. Spezielle pharmakotherapeutische Schwerpunkte
Blutdrucktherapie und Progressionshemmung
Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems (z.B. Enalapril, Ramipril, Candesartan) sind bei chronischer Niereninsuffizienz oft bevorzugt – sie hemmen die Progression und senken kardiovaskuläres Risiko.
- Typische Nebenwirkungen: Kreatininanstieg, Hyperkaliämie, Hypotonie
- Monitoring: Blutdruck, Kreatinin, Kalium besonders nach Therapiestart oder Dosiserhöhung
Nephroprotektive antidiabetische Therapie
- SGLT2-Hemmer (z.B. Empagliflozin): schützen Herz und Niere, auch unabhängig von der Blutzuckersenkung. Nebenwirkungen: Genitale Infektionen, Volumenmangel, Hypotonie.
- GLP-1-Rezeptoragonisten: Nutzen v.a. bei begleitender kardiovaskulärer Risikokonstellation
- Metformin: Bei abnehmender Nierenfunktion Dosis reduzieren, bei eGFR < 30 ml/min absetzen. Risiko der Laktatazidose erhöht v.a. bei akuten Erkrankungen mit Hypoxie oder Dehydratation.
Lipidsenkung und Thrombozytenaggregation
- Statine: Senken das kardiovaskuläre Gesamtrisiko. Beachte Dosisbeschränkungen und Interaktionen (Myopathie-Risiko!).
- Thrombozytenaggregationshemmer: In der Primärprävention meist nicht routinemäßig indiziert, aber bei korrekter Indikation auf Neben- und Wechselwirkungen achten.
Schmerztherapie
- NSAR: Kurzfristig und in niedriger Dosierung, bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz kontraindiziert; Alternativen nutzen.
- Nicht-nephrotoxische Analgetika: Paracetamol erstes Mittel der Wahl
- Opioide: Dosis und Auswahl abhängig von Eliminationswegen und aktiven Metaboliten
- Gabapentinoide: Strenge Dosisanpassung nötig wegen Kumulationsrisiko
Antikoagulation
- Bei vielen DOAK ist eine Dosisanpassung und regelmäßiges Monitoring (Nierenfunktion, Blutungen, Interaktionen) zwingend notwendig.
- Vitamin-K-Antagonisten: ebenfalls engmaschig überwachen
Antiinfektiva
Viele Antibiotika und Antimykotika werden renal eliminiert und müssen dosisangepasst dosiert werden. Einige (z.B. Aminoglykoside, Vancomycin) sind selbst nephrotoxisch und bedürfen besonderer Vorsicht.
Gichttherapie
- Akut: NSAR und Colchicin nur mit Vorsicht einsetzen; Steroidbasierte Therapie erwägen.
- Prophylaxe: Uratsenkende Therapie titrieren und an Nierenfunktion anpassen, Interaktionen beachten (z.B. mit Immunsuppressiva).
Komplikationsmanagement: Anämie und Mineralstoffwechsel
- Renale Anämie: Orale Eisenpräparate häufig Mittel der Wahl, bei schweren Fällen Erythropoetin nur unter spezieller Kontrolle.
- Störungen im Mineralstoffwechsel: Vitamin D, Kalzium- und Phosphatsupplementierung gezielt prüfen. Hochdosierte ungezielte Vitamin-D-Gaben vermeiden. Risiko von Hyperkalzämie und Hyperphosphatämie beachten.
5. Ernährung und Supplementberatung
- Meist herzgesunde, salzarme und eiweißbewusste Ernährung
- Vermeidung strenger Eiweißrestriktion ohne ärztliche Begleitung – Risiko von Mangelernährung bei älteren oder gebrechlichen Patient:innen
- Vorsicht bei Nahrungsergänzungsmitteln mit Magnesium, Kalium, Phosphat
6. Impfberatung
- Erhöhtes Infektionsrisiko: Indikationsimpfungen (z.B. Influenza, Pneumokokken, Hepatitis B) prüfen, v.a. vor geplanter Immunsuppression oder Dialyse.
7. Schnittstellenmanagement
- Bei rascher Verschlechterung oder Komplikation immer auf ärztliche oder nephrologische Abklärung drängen (z.B. schnelle eGFR-Abnahme, persistierende Albuminurie, Hyperkaliämie, refraktäre Hypertonie, renale Anämie, auffällige Laborwerte).
Tritt eines der folgenden Symptome bei Patient:innen mit bekannter Nierenfunktionsstörung auf, sollte rasch ärztlicher Kontakt empfohlen werden:
- Reduzierte Urinmenge
- Plötzliche Gewichtszunahme oder -abnahme
- Neu aufgetretene Ödeme
- Atemnot
- Schwindel, erschwerte Kreislaufregulation
- Auffällige Blutzuckerwerte oder Hypotonie
Zusammenfassung
- Die Nierenfiltration beeinflusst Auswahl, Dosierung und Sicherheit vieler Arzneistoffe – bei (chronischer) Störung ist besonders auf Dosisanpassung, Vermeidung nephrotoxischer Präparate und Monitoring zu achten.
- Schwerpunkte in der Betreuung sind Blutdruckeinstellung (meist RAS-Hemmer), kardiovaskuläre Protektion (SGLT2-Hemmer, Statine), sichere Schmerz- und Antikoagulationstherapie, die Berücksichtigung von Komorbiditäten und Komplikationen (Anämie, Störungen des Mineralstoffwechsels, Infektanfälligkeit).
- Die Apotheke unterstützt die betroffenen Patient:innen aktiv durch strukturierte Medikationschecks, gezielte Beratung zu Selbstmedikation, Ernährung und Impfungen sowie durch das frühzeitige Erkennen von Risikosituationen.
- Bei akuten Warnsignalen und Komplikationen ist unbedingt unverzügliche Rücksprache mit Arzt/Nephrologie zu empfehlen.
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