Ernährung, Diätetik und Nahrungsergänzung

Grundlagen: Ernährung und Diätetik in der Apotheke

Im Apothekenalltag steht nicht primär die Therapie ernährungsabhängiger Erkrankungen im Vordergrund, sondern meist die ernährungsbezogene Beratung zur Prävention, Unterstützung der Arzneimitteltherapie oder zur Überbrückung spezieller Ernährungssituationen. Deine Aufgabe als Apotheker:in ist es deshalb, zwischen allgemeiner Ernährungsempfehlung, gezielter Diätetik und Nahrungsergänzungsmitteln zu unterscheiden und Patient:innen kompetent, sicher und patientenorientiert zu beraten.

Zentrale Begriffe und Produktkategorien

  • Normale Ernährung: Ausgewogene Mischkost unter Berücksichtigung der D-A-CH-Referenzwerte.
  • Diätetik: Einsatz spezifischer Kostformen bei besonderen medizinischen Anforderungen (z. B. Allergien, Intoleranzen, Stoffwechselerkrankungen).
  • Nahrungsergänzungsmittel (NEM): Produkte, die die normale Ernährung gezielt ergänzen, z. B. durch Vitamine, Mineralstoffe oder andere Nährstoffe in konzentrierter Form.
  • Bilanzierte Diäten: Lebensmittelspezialprodukte zur Deckung eines spezifischen Nährstoffbedarfes bei bestimmten Krankheiten. Rechtlich als „Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (FSMP)“ eingeordnet.
  • Enterale/parenterale Ernährung: Medizinische Ernährungsformen, die zusätzliche oder vollständige Ernährung über den Magen-Darm-Trakt (Trink- und Sondennahrung) bzw. intravenös (parenteral) ermöglichen.

Allgemeine Ernährungsempfehlungen

Für die breite Bevölkerung empfiehlt sich eine abwechslungsreiche, überwiegend pflanzenbasierte Ernährung mit genügend Flüssigkeit (1,5–2 Liter Wasser/Tag). Ungünstig sind stark verarbeitete Lebensmittel und ein hoher Konsum von Zucker, gesättigten Fetten und Salz. In der Apotheke unterstützt du dieses Basiswissen, verweist bei auffälligen Symptomen oder bei Fragen zur Ernährungsumstellung jedoch an Ärzt:innen oder zertifizierte Ernährungsberater:innen.

Überblick: Sinn und Stellenwert der Ernährung in Prävention und Therapie

Ernährung kann die Arzneimitteltherapie unterstützen, aber keine ärztliche Diagnostik oder Therapie ersetzen! In der Prävention stehen Gewichtsmanagement, Vermeidung von Mangelzuständen (z. B. Eisen, Vitamin D) und die Beratung bei allgemeinen Beschwerden wie Müdigkeit oder Haarausfall im Vordergrund. Bei bestimmten Erkrankungen (z. B. Zöliakie, Lebensmittelallergien, Fettstoffwechselstörungen) sind spezifische diätetische Maßnahmen Pflicht und können durch den gezielten Einsatz bilanzierten Diäten oder NEM ergänzt werden.

Beratung: Struktur, Ablauf und Abgrenzung

Die strukturierte Beratung folgt einem klaren Schema:

  1. Bedarfserhebung: Grund der Nachfrage, Erkrankungen, Allergien, aktuelle Arzneimitteltherapie, Ernährungsgewohnheiten, Lebensphase (z. B. Schwangerschaft, Stillzeit, Sport).
  2. Produkteinordnung: Ist das angefragte Produkt ein NEM, eine bilanzierte Diät oder (teilweise) Arzneimittel?
  3. Zielgruppen-Check: Zuordnung (Kind, Schwangere, ältere Menschen) und Beachtung besonderer Bedürfnisse.
  4. Indikationen/Kontraindikationen: Wann ist ein Produkt/Einsatz sinnvoll, wann kontraindiziert?
  5. Wechselwirkungen, Risiken und Grenzen: Welche Wechselwirkungen bestehen mit Arzneistoffen? (z. B. Vitamin-K-Wechselwirkung mit Cumarinen, Hyperkalzämie-Risiko bei Vitamin D und Thiaziddiuretika) Wann ist eine ärztliche Abklärung geboten?

Typische Fragen im Beratungsgespräch

  • Was nehmen Sie aktuell an Arzneimitteln und Nahrungsergänzungen ein?
  • Gibt es Vorerkrankungen/Allergien?
  • Besteht ein ärztlich gesicherter Mangel oder eine konkrete medizinische Diagnose?
  • Wozu möchten Sie das Produkt verwenden? (Ziel abklären)
  • Sind Sie schwanger, stillend oder handelt es sich um ein Kind/ältere Person?
TipAchtung bei Selbstmedikation

Nahrungsergänzungsmittel werden häufig zur Selbstmedikation eingesetzt. Prüfe, ob tatsächlich ein nachgewiesener Mangel besteht und verlasse bei unklarer Symptomatik, Erkrankungsverdacht oder komplexen Therapien nicht den Beratungsrahmen der Apotheke – weiterverweisen!

Nahrungsergänzungsmittel (NEM)

Definition, rechtlicher Hintergrund und Einsatz

NEM sind Konzentrate von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Sie dürfen keine pharmakologische Wirkung besitzen und sind rein rechtlich Lebensmittel, keine Arzneimittel! Keine Heilungs- oder Krankheitsaussagen zulässig.

Typische Indikationen (unter Beachtung von Sinnhaftigkeit und Risikogruppen):

  • Vitamin D bei älteren Menschen oder nachgewiesenem Mangel
  • Eisen bei Schwangeren oder nach Diagnosestellung Eisenmangelanämie
  • Folsäure im ersten Schwangerschaftsdrittel
  • Jodpräparate in Schwangerschaft/Stillzeit (sofern keine Kontraindikation, z. B. Schilddrüsenerkrankungen)

Beispiel Präparat: Vitamin D3-Tabletten; Wirkmechanismus: Regulierung des Kalzium- und Phosphathaushalts, Knochenstoffwechsel.

Wechselwirkungen von Nahrungsergänzungsmitteln

Viele NEM können pharmakologisch relevante Interaktionen mit Arzneistoffen eingehen. Beispiele:

  • Vitamin K vermindert die Wirkung von Cumarinen (z. B. Phenprocoumon), Risiko für Thrombosen.
  • Kalzium- und Eisenpräparate reduzieren die Resorption zahlreicher Arzneistoffe (z. B. Tetrazykline, Bisphosphonate).
  • Johanniskraut (kein NEM, aber häufig nachgefragt): Induziert CYP3A4, Abschwächung von z. B. Kontrazeptiva, Immunsuppressiva.

Beratungsaspekte und Tipps

  • Auf konkrete Hinweise für Mangelsituationen achten (Laborwerte, ärztliche Empfehlungen).
  • Höchstmengen, UL-Werte (Tolerable Upper Intake Level) und Dosierung im Blick haben.
  • Keine Dauereinnahme ohne ärztliche Kontrolle empfehlen.
  • Warnzeichen (plötzlicher Gewichtsverlust, Leistungsabfall, Blutungsneigung, spezifische Symptome) erkennen und weiterverweisen.

Diätische Lebensmittel und bilanzierte Diäten

Bilanzierte Diäten (Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, FSMP)

Definition: Produkte, die zur diätetischen Behandlung bestimmter Krankheiten dienen und in ihrer Zusammensetzung speziell auf den krankheitsspezifischen Bedarf abgestimmt sind.

Typische Anwendungen:

  • Trink- und Sondennahrung bei Mangelernährung oder Störungen der oralen Nahrungsaufnahme (z. B. onkologische Patienten, geriatrische Patienten)
  • Aminosäuremischungen bei angeborenen Stoffwechselerkrankungen
  • Glutenfreie Produkte bei Zöliakie

Rechtlicher Rahmen: Bilanzierte Diäten sind Lebensmittel, die ärztlicher Überwachung bedürfen, keine Arzneimittel und keine klassische Selbstmedikation!

Enterale und parenterale Ernährung

  • Enterale Ernährung: Flüssige Nahrung über den Magen-Darm-Trakt (oral oder per Sonde). Indikation: gestörte/fehlende normale Nahrungsaufnahme, aber funktionsfähiger Darm.
  • Parenterale Ernährung: Intravenöse Gabe von Nährstoffen. Indikation: kompletter Funktionsverlust des Darms (z. B. Kurzdarmsyndrom); Anwendung unter ärztlicher Überwachung, meist in Klinik oder spezialisierten Einrichtungen.

Grenzen der Beratung und Schnittstellen zur ärztlichen Versorgung

Die Beratung in der Apotheke orientiert sich bei Ernährung und NEM an folgenden Prinzipien:

  • Eigenständige Diagnosen stellen ist nicht Aufgabe der Apotheke.
  • Bei unklaren Symptomen, chronischen Beschwerden oder Therapieversagen ist die ärztliche Abklärung essenziell.
  • Die Grenze zur Therapie (z. B. bei manifester Mangelernährung oder Stoffwechselstörung) ist zu respektieren.
  • Die Empfehlung von NEM ohne nachgewiesenen Bedarf sollte kritisch hinterfragt werden – Überdosierungen und Nebenwirkungen sind auch bei NEM möglich.

Beratung im Alltag – Praxisbeispiele

Situation 1: Kundin mit Haarausfall fragt nach Kieselerde-Kapseln.
Vorgehen: Nachfragen zu Vorerkrankungen, kürzlichen Bluttests (z. B. Eisenmangel, Schilddrüse), Ernährung, ggf. andere Symptome (Gewichtsverlust, Zyklusstörungen). Kontrolle möglicher Arzneimittelinteraktionen, Abgrenzung zu ernsten Erkrankungen (Weiterverweis bei Alarmzeichen).

Situation 2: Vater möchte Nahrungsergänzungsmittel für Kind im Wachstum.
Vorgehen: Nachfragen zu Essgewohnheiten, Entwicklungsstand, ggf. Kinderarztkontakt. Aufklärung über ausgewogene Ernährung und restriktiven Umgang mit NEM im Kindesalter.

Situation 3: Älterer Patient fragt nach Vitamin-K-haltigen Präparaten bei gleichzeitiger Einnahme eines Cumarinderivats.
Vorgehen: Auf Interaktion und Risiko von Gerinnungsstörungen hinweisen, Verweis auf behandelnde Ärztin/behandelnden Arzt, NEM nicht empfehlen.

Zusammenfassung

  • In der Apotheke gilt: Die Beratung zu Ernährung, Diätetik und NEM erfolgt auf Basis solider Grundkenntnisse, unter Berücksichtigung der individuellen Patientensituation und klarer rechtlicher Vorgaben.
  • Ernährungsberatung ersetzt keine ärztliche Therapie, sondern unterstützt bei Prävention und Therapiebegleitung, z. B. durch Identifikation von Mangelzuständen oder sinnvolle Ergänzung.
  • Typische Fallstricke sind unspezifische Symptome ohne ärztliche Diagnosestellung, Risiken durch Eigenmedikation mit NEM sowie mögliche Interaktionen zwischen NEM und Arzneimitteln.
  • Die Grenzen der apothekerlichen Beratung sind klar: Keine Diagnose, keine therapeutische Behandlung ernährungsabhängiger Erkrankungen – bei Unsicherheit oder Verdacht auf ernste Erkrankungen immer an Fachpersonen weiterverweisen.

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