Depressive Verstimmungen / Depressionen

Krankheitsbild

Depressive Verstimmungen und Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Störungen und betreffen Menschen aller Altersgruppen. Depressive Verstimmungen zeichnen sich durch eine anhaltend gedrückte Stimmung, Interessenverlust sowie Energielosigkeit aus – sie gehen jedoch meist nicht mit schwerwiegenden funktionellen Einschränkungen einher. Depressionen hingegen sind durch eine erhebliche Beeinträchtigung des Alltags, ausgeprägte Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle oder sogar Suizidgedanken charakterisiert und stellen eine behandlungsbedürftige Erkrankung dar.

Leitsymptome sind: - Gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Lustlosigkeit - Auffällige Erschöpfung, Antriebsstörung - Konzentrations- und Gedächtnisprobleme - Schlafstörungen, Appetitveränderungen - Unspezifische körperliche Beschwerden (z.B. Kopf- oder Rückenschmerzen, Magenbeschwerden) - Psychomotorische Verlangsamung, sozialer Rückzug

Zur Pathophysiologie gehören eine veränderte Funktion bestimmter Neurotransmitter (insbesondere Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) sowie eine Dysbalance von Stress- und Regulationsmechanismen im Gehirn. Auslöser können unter anderem psychosoziale Belastungen, organische Erkrankungen, hormonelle Umstellungen oder Arzneimitteleffekte sein.

Therapieziele der Selbstmedikation: - Unterstützung der Stimmungsaufhellung bei milden Beschwerden - Verbesserung von Schlaf und Tagesstruktur - Früher Rückgriff auf nichtmedikamentöse Maßnahmen

Grenzen der Selbstmedikation: Nur bei leichten depressiven Verstimmungen oder leichten depressiven Episoden ohne Suizidgedanken und starke Funktionseinschränkungen. Mittelschwere und schwere Depressionen, chronische Verläufe sowie bipolare Störungen müssen immer fachärztlich abgeklärt und behandelt werden.

Pharmazeutische Anamnese

Im Beratungsgespräch ist das strukturierte Erfassen der folgenden Aspekte für eine sichere und zielgerichtete Arzneimittelauswahl wesentlich:

  • Art, Dauer und Verlauf der Beschwerden (seit wann, wie stark, tagesabhängig?)
  • Ausmaß der Beeinträchtigung (Alltag, Beruf, Familie)
  • Begleitsymptome (Schlafstörungen, Ängstlichkeit, körperliche Beschwerden)
  • Hinweise auf Suizidgedanken, Selbstverletzung oder psychotische Symptome
  • Vorerkrankungen (z.B. Schilddrüsenfunktionsstörungen, andere psychische Erkrankungen)
  • Lebensphase: Alter, Schwangerschaft, Stillzeit (bei Frauen auch Zyklus/Wechseljahre)
  • Aktuelle Medikation (z.B. Antidepressiva, Migränemittel, hormonelle Kontrazeptiva)
  • Bisherige Maßnahmen (was wurde schon versucht, Erfolge oder Misserfolge?)

Der Fokus liegt auf der Unterscheidung zwischen einer leichten, kurzzeitigen Verstimmung (Self-Care möglich) und einer behandlungsbedürftigen Depression (ärztliche Behandlung zwingend erforderlich).

Nichtmedikamentöse Basismaßnahmen

  • Strukturiere den Tagesablauf mit festen Schlafens- und Essenszeiten
  • Sorge für regelmäßige körperliche Aktivität, möglichst an der frischen Luft (Tageslicht)
  • Achte auf Schlafhygiene (z. B. kein Koffein am Abend, keine Mediennutzung im Bett)
  • Reduziere Stress durch Entspannungsübungen (Atemtechniken, Yoga, progressive Muskelentspannung)
  • Suche das Gespräch mit Freunden, Familie oder Beratungsstellen
  • Professionelle Hilfe in Erwägung ziehen (z. B. psychosoziale Beratungsstellen, psychotherapeutische Anbindung)

Arzneimittel

Johanniskraut (Hypericum-Extrakte)

Wirkmechanismus

Johanniskraut-Extrakte beeinflussen verschiedene Neurotransmittersysteme, insbesondere die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt. Zusätzlich werden Entzündungsmediatoren und Stressantworten moduliert, was insgesamt eine stimmungsaufhellende Wirkung fördert. Diese Effekte setzen allerdings erst nach einer kontinuierlichen Einnahme über mehrere Wochen ein.

Arzneistoffe

  • Johanniskraut (standardisierte Extrakte, meist im Bereich 600–900 mg/Tag)
  • Typisch: Tabletten, Filmtabletten, Kapseln
  • Nur standardisierte Arzneimittel (nicht Nahrungsergänzungsmittel) verwenden! Die Qualität der Extrakte ist für Wirksamkeit und Vergleichbarkeit entscheidend.

Beratung

  • Die Einnahme sollte täglich und konsequent durchgeführt werden; Wirkungseintritt erst nach 2–4 Wochen
  • Typische Dosierung: 600–900 mg Standardextrakt pro Tag, abhängig vom Produkt
  • Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Magen-Darm-Beschwerden, Müdigkeit, Unruhe – bei hellhäutigen Personen zusätzlich Lichtempfindlichkeit mit erhöhter Sonnenbrandgefahr
  • Sehr hohes Interaktionspotenzial: Johanniskraut induziert CYP3A4 und weitere Enzyme sowie P-Glykoprotein! Dadurch werden viele Arzneistoffe in ihrer Wirkung abgeschwächt, zum Beispiel orale Kontrazeptiva, Antikoagulanzien, Immunsuppressiva, HIV-Arzneimittel, Antiepileptika, Opioid-Analgetika und Antidepressiva.
  • Vorsicht bei gleichzeitiger Anwendung mit anderen serotonergen Substanzen (z. B. SSRI, SNRI, Triptane) wegen der möglichen Gefahr eines Serotoninsyndroms.
  • Nicht in Schwangerschaft/Stillzeit, nicht bei Kindern und Jugendlichen anwenden
  • Bei ausbleibender Besserung nach spätestens 2–4 Wochen oder Verschlechterung ist ein Arztbesuch erforderlich
TipKlinisch relevant

Das breite Interaktionspotenzial grenzt Johanniskraut in der Praxis oft deutlich ein. Betone dies im Beratungsgespräch und prüfe stets die aktuelle Arzneimitteltherapie!

Sedierende Pflanzenpräparate (z. B. Baldrian, Passionsblume, Melisse, Hopfen)

Wirkmechanismus

Baldrian sowie Baldrian-Kombinationen modulieren GABAerge Mechanismen und fördern die Entspannung, was vor allem eine beruhigende Wirkung entfaltet. Es werden jedoch keine depressiven Kernsymptome direkt beeinflusst; lediglich Unruhe und Schlafprobleme können verbessert werden.

Arzneistoffe

  • Baldrian (Valeriana officinalis): Wurzelextrakte, meist als Kapseln, Dragees oder Teezubereitungen
  • Kombinationen mit Passionsblume, Melisse oder Hopfen
  • Orales Lavendelöl als Kapseln bei Unruhe und ängstlicher Anspannung

Beratung

  • Wirkeintritt von Baldrianpräparaten meist nach kontinuierlicher Anwendung über 1–2 Wochen
  • Anwendung vor dem Schlafengehen (bei Schlafstörungen) oder situationsabhängig (bei Unruhe)
  • Nebenwirkungen bei Baldrian selten (Magen-Darm-Beschwerden), Lavendel kann Übelkeit verursachen, und Lavendelöl sollte bei Lebererkrankungen vermieden werden
  • Keine Anwendung bei Kindern, Schwangerschaft, Stillzeit ohne ärztliche Rücksprache
  • Die antidepressive Wirkung ist für diese Präparate nicht gesichert; Einsatz daher vorrangig bei begleitender Unruhe oder Schlafproblemen

Sedierende H1-Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin, Doxylamin)

Wirkmechanismus

Blockade zentraler Histamin-H1-Rezeptoren im Gehirn führt zu sedierender Wirkung und Förderung des Schlafs. Depressive Symptome werden jedoch nicht beeinflusst.

Arzneistoffe

  • Diphenhydramin, Doxylamin (Tabletten, Kapseln oder Tropfen)

Beratung

  • Einsatz nur kurzzeitig bei Ein- oder Durchschlafstörungen, nicht als Dauertherapie
  • Achtung: Tagesmüdigkeit, anticholinerge Nebenwirkungen (z. B. Mundtrockenheit, Obstipation), Interaktionspotenzial bei älteren Patienten
  • Nicht anwenden bei bestehender Depressionstherapie ohne ärztliche Rücksprache
  • Rückfallgefahr und Gewöhnungspotenzial bei längerer Einnahme

Nahrungsergänzungsmittel (Folsäure, Vitamin B12, Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren)

Wirkmechanismus

Nur bei nachgewiesenem Mangel (z. B. Vitamin B12 oder Vitamin D) besteht ein klarer therapeutischer Nutzen. Für eine stimmungsaufhellende Wirkung bei normalen Spiegeln fehlen gesicherte Studien.

Arzneistoffe

  • Folsäure, Vitamin B12, Vitamin D3, Omega-3-Fettsäuren, meist in Tabletten- oder Kapselform

Beratung

  • Bei diagnostiziertem Mangel nach ärztlicher Rücksprache substituieren
  • Keine prophylaktische Gabe zur Behandlung von Depressionssymptomen
  • Überdosierungen können unerwünschte Effekte haben

Ab wann zum Arzt?

  • Auftreten von Suizidgedanken oder Selbstverletzungsabsicht
  • Rasche oder starke Verschlechterung der Stimmung oder Funktion
  • Auftreten psychotischer Symptome (z. B. Wahn, Halluzinationen)
  • Ausgeprägte Antriebslosigkeit, völliger sozialer Rückzug
  • Erste depressive Episode im Kindes-/Jugendalter
  • Schwangerschaft, Stillzeit, ältere Menschen oder Vorerkrankungen (z.B. Bipolare Störung, Demenz)
  • Beschwerden bestehen länger als 2–4 Wochen oder bessern sich trotz Selbstmedikation und nichtmedikamentöser Maßnahmen nicht
  • Akute Nebenwirkungen der eingesetzten Präparate, insb. Zeichen eines Serotoninsyndroms (z. B. Muskelzucken, Verwirrtheit, Fieber, Schwitzen, Tachykardie)
  • Verdacht auf bipolare Störung (depressive und manische Phasen)

Zusammenfassung

Zentrale Symptome Wichtige Wirkstoffklassen Kernaussagen zur Beratung
Gedrückte Stimmung, Interessenverlust Johanniskraut Standardisierte Extrakte, verzögerter Wirkungseintritt (2–4 Wochen), hohes Interaktionspotenzial, keine Anwendung bei Kindern, Schwangeren, Stillenden, prompt zum Arzt bei Warnzeichen
Antriebslosigkeit, Energielosigkeit Sedierende Pflanzenextrakte Einsatz nur bei Unruhe/Schlafstörungen, keine gesicherte antidepressive Wirkung, Anwendung als ergänzende Maßnahme
Konzentrationsprobleme, Appetit-/ Schlafstörungen Sedierende H1-Antihistaminika Kurzzeitige Anwendung bei Schlafstörungen, Risiko von Tagesmüdigkeit und anticholinergen Nebenwirkungen, nicht für Dauertherapie geeignet
Unspezifische körperliche Beschwerden Nahrungsergänzungsmittel Nur bei laborchemisch gesichertem Mangel sinnvoll, sonst keine Empfehlung
Suizidgedanken, psychotische Symptome, schwere Funktionseinschränkung - Unverzüglich ärztliche Abklärung notwendig, keine Selbstmedikation oder Überbrückung mit rezeptfreien Präparaten

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