Onkologische Patienten
Hintergrund und Besonderheiten in der Betreuung
Die Arzneimitteltherapie bei onkologischen Patienten ist hochkomplex. Sie zeichnen sich durch eine Vielzahl an Komorbiditäten und teils sehr spezifische Anwendungsbedingungen der eingesetzten Arzneistoffe aus. Auch die Nebenwirkungslast und die Gefahr für relevante Wechselwirkungen sind deutlich erhöht. Daher ist die pharmazeutische Betreuung dieser Patienten anspruchsvoll und benötigt besonderes Augenmerk auf Therapiesicherheit, Adhärenz und individuelle Situation.
Ziel ist nicht nur eine wirkungsvolle Tumortherapie, sondern auch die bestmögliche Unterstützung bei der Bewältigung therapiebedingter Nebenwirkungen und der Erhalt der Lebensqualität.
Zentrale Wirkstoffgruppen in der Onkologie
Klassische Zytostatika:
Sie stören die Zellteilung, indem sie Zellzyklus-spezifische oder -unspezifische Mechanismen hemmen. Ein Beispiel ist Cisplatin, das DNA-Stränge vernetzt und so die Zellproliferation stoppt.
Zielgerichtete Therapien (“targeted therapy”):
Diese hemmen gezielt Signalwege, die für das Tumorwachstum essenziell sind. Beispiel: Imatinib hemmt die BCR-ABL-Tyrosinkinase bei CML.
Immuncheckpoint-Inhibitoren:
Sie setzen am körpereigenen Immunsystem an, z.B. indem sie den „Bremseffekt“ von PD-1/PD-L1-Achsen aufheben (Nivolumab). Dies aktiviert T-Zellen zur Tumorabwehr.
Hormontherapeutika:
Sie wirken dort, wo Tumore hormonabhängig wachsen (z.B. Brust- oder Prostatakarzinom). Tamoxifen blockiert den Östrogenrezeptor in der Brust.
Supportive Arzneimittel:
Zur Kontrolle therapieassoziierter Beschwerden werden Antiemetika, Schmerzmittel, Antibiotika, hämatopoetische Wachstumsfaktoren oder andere Arzneistoffe eingesetzt.
Oft findet die Betreuung als „pharmazeutische Doppelfunktion“ statt:
1. Kontrolle auf Therapie- und Interaktionssicherheit
2. Intensive Beratung zur Einnahme, Handhabung und Nebenwirkungserkennung
Dies ist besonders bei oralen Antitumorwirkstoffen wichtig.
Dosierung und individuelle Anpassungen
Viele Antitumorwirkstoffe besitzen eine enge therapeutische Breite. Neben der Dosis nach Körperoberfläche oder Körpergewicht sind Organfunktionen (Leber, Niere), genetische Polymorphismen (z.B. DPD-Mangel bei Fluoropyrimidinen) sowie Begleiterkrankungen und aktuelle Laborwerte zu berücksichtigen.
Bei Unsicherheiten solltest du immer Rücksprache mit dem behandelnden Onkologen oder der onkologischen Ambulanz halten.
Arzneimittelinteraktionen und Polymedikation
Onkologische Patienten erhalten meist viele unterschiedliche Arzneimittel (z.B. Schmerztherapie: Opioide, Antiemese, Begleittherapie bei Hypertonie, Diabetes, Infektionen). Kritische Interaktionen beziehen sich häufig auf:
- CYP450-Enzym-Hemmung/-Induktion (z.B. Azolantimykotika, Antidepressiva, Grapefruitsaft)
- QT-Zeit-Verlängerungen (besonders relevant bei vielen Zytostatika kombiniert mit z.B. Domperidon, bestimmten Antibiotika)
- Additive Knochenmarkstoxizität (fehlerhafte Kombi von zytotoxischen Substanzen, Carbamazepin, Thiaziden oder Cotrimoxazol)
- Wechselwirkungen mit pflanzlichen Präparaten/Supplements (z.B. Johanniskraut: verminderte Wirkung von Tyrosinkinaseinhibitoren)
- Nahrungsmittelinteraktionen (z.B. Grapefruitsaft bei Lapatinib)
Ein sorgfältiges Interaktionsscreening und gezielte Nachfrage zu nicht-rezeptpflichtigen Produkten sind daher notwendig.
Nebenwirkungsmanagement
Therapiebedingte Nebenwirkungen erfordern engmaschige Beratung und Monitoring, um Komplikationen, Hospitalisierungen oder Therapieabbrüche zu vermeiden. Im Beratungsgespräch sollten folgende Aspekte thematisiert werden:
- Akute und verzögerte Übelkeit/Erbrechen: Ursachen, Prophylaxe und Behandlung (Mittel wie 5-HT3-Antagonisten, Metoclopramid)
- Hand-Fuß-Syndrom: Erkennen und Maßnahmen zur Hautpflege
- Diarrhö und Mukositis: Hinweise zu Diät und ggf. Medikation (Loperamid, Mundspüllösungen)
- Fatigue: Häufiges Symptom, Unterstützung durch tägliche Routinen und ggf. Anpassung der Supportivtherapie
- Hämatologische Nebenwirkungen (Neutropenie, Anämie, Thrombozytopenie): Erhöhte Infektanfälligkeit, ggf. Kontrolle auf Symptome, Absprache mit behandelndem Team
- Nach Einnahmezeitpunkt, Handhabung (nicht halbieren/zerkleinern bei Zytostatika), Handling bei vergessener Dosis fragen.
- Hinweise zu Hygieneregeln bei Immunsuppression geben.
- Bei Anzeichen starker unerwünschter Wirkungen auf Therapieunterbrechung oder Anpassung durch den Arzt hinweisen.
Besonderheiten oraler Tumortherapeutika
Die Zahl der oralen Zytostatika und zielgerichteten Substanzen wächst. Hier übernimmt der Patient Anschaffung, Einnahme, Lagerung und ggf. Entsorgung in Eigenregie. Dabei erhöhen sich potenzielle Fehlerquellen erheblich.
Die wichtigsten Beratungspunkte:
- Einnahme- und Dosierschema genau prüfen: Tageszeit, Einnahme zu/nach/ohne Mahlzeiten, ggf. feste Kombi mit Supportivtherapie beachten
- Handhabung von Auslassen oder Erbrechen nach Einnahme
- Hinweise zur sicheren Lagerung (Schutz vor Kindern) und zur sachgemäßen Entsorgung
- Schutzmaßnahmen beim Umgang für Patient und Angehörige (Handschuhe, keine Zerkleinerung ohne Schutz)
- Patienten auf Wechselwirkungen und Warnzeichen für Komplikationen hinweisen
Arzneimittelsicherheit und Schutzmaßnahmen
Der Umgang mit mutagenen, kanzerogenen oder teratogenen Arzneistoffen verlangt besondere Vorsicht:
- Persönliche Schutzausrüstung beim Umgang zu Hause (Handschuhe, ggf. Mundschutz)
- Trennung von Arzneimittel- und Lebensmittelaufbewahrung
- Rückgaben und Entsorgung niemals im Hausmüll, sondern über Apotheke oder Rücknahmesysteme
Rolle der Apotheke und Zusammenarbeit
Um die Behandlung onkologischer Patienten sicher zu gestalten, ist eine enge Abstimmung mit Ärzten und Pflegekräften wichtig. Viele Arzneimittel erfordern ein Monitoring durch regelmäßige Laborkontrollen, Beratung zum Umgang mit Nebenwirkungen und Anpassungen der Supportivtherapie. Auch psychosoziale Aspekte dürfen nicht unterschätzt werden – manchmal ist ein klärendes Gespräch oder Mutmachen im Beratungsalltag ein wichtiger Beitrag.
Zusammenfassung
- Onkologische Patienten sind besonders vulnerabel – beachte Komplexität und Nebenwirkungsrisiken.
- Einsatz multipler Arzneistoffgruppen, häufig mit strenger Dosisanpassung und erhöhtem Interaktionsrisiko.
- Beratungsbedarf v.a. bei oraler Therapie: Einnahmehinweise, Monitoring von Nebenwirkungen, Umgang mit vergessenen Dosen, Schutzmaßnahmen.
- Aktive Ansprache von Wechselwirkungen (CYP450, QT-Zeit, pflanzliche Präparate, Supportivmedikation).
- Supportive Therapie sollte stets auf individuelle Belastung und Lebensqualität abgestimmt werden.
- Sorgfältige Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflege ist Voraussetzung für die Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimitteltherapie.
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