Kinder
Besondere Aspekte der Pharmakotherapie bei Kindern
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – ihre Pharmakotherapie erfordert eine fundierte Einschätzung und angepasste Betreuung. Gerade bei akuten oder chronischen Erkrankungen in der Offizin begegnen dir verschiedene Altersgruppen von Früh- und Neugeborenen bis zu Jugendlichen, deren Körper und Stoffwechsel sich ständig weiterentwickeln. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Auswahl, Dosierung und Handhabung von Arzneimitteln.
Altersabhängige Besonderheiten: Pharmakokinetik und -dynamik
Mit steigendem Lebensalter verändern sich alle pharmakokinetischen Prozesse:
- Resorption: Im Vergleich zu Erwachsenen sind Magen-Darm-Trakt, Haut und Blut-Hirn-Schranke bei Kindern (insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern) noch nicht vollständig ausgereift. So ist beispielsweise die Magenentleerungszeit verlängert, die Haut durchlässiger und die Blut-Hirn-Schranke vor allem bei Neugeborenen noch offen.
- Verteilung: Das Körperwasser ist bei Neugeborenen deutlich höher (bis zu 80 % des Körpergewichts), die Fettanteile sind niedriger. Dies beeinflusst wie Arzneistoffe im Körper verteilt werden (z.B. benötigen hydrophile Substanzen häufig eine höhere mg/kg-Dosis).
- Metabolisierung: Die Leberenzyme (z.B. CYP450-System) reifen im Verlauf der Kindheit. Manche Arzneistoffe werden daher langsamer (oder in seltenen Fällen schneller) verstoffwechselt, weshalb es zu Über- oder Unterdosierungen kommen kann.
- Elimination: Die Nierenfunktion entwickelt sich erst sukzessive: Neugeborene haben eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate. Nierenretinierte Arzneistoffe wie Aminoglykoside müssen deshalb bei Säuglingen besonders vorsichtig und unter Kontrolle dosiert werden.
Die Erfahrung im Umgang mit Kindern und ein sicheres Verständnis dieser Grundlagen sind Basis jeder pharmazeutischen Betreuung.
Dosierung: Individuell, dynamisch und genau
Die Dosierung von Arzneistoffen bei Kindern orientiert sich in der Regel am Körpergewicht (mg/kg KG) oder Körperoberfläche (mg/m² BSA). Gerade weil Wachstum und Gewicht in kurzer Zeit stark schwanken können, ist eine regelmäßige Anpassung nötig.
- Beispiel: Paracetamol wird meist mit 10–15 mg/kg KG pro Einzeldosis (max. 60 mg/kg KG/Tag) dosiert. Bei Erwachsenen gelten völlig andere Schemata.
- Tabellen und Dosierungsrechner können helfen, Fehler zu vermeiden.
- Genaue Dosierhilfen (z.B. Spritzen) sind in der Beratung elementar, um Über- oder Unterdosierungen vorzubeugen.
Verwende niemals abgerundete Dosen „nach Augenmaß“ und beziehe aktuelle Körpergewichts-/größenangaben ein. Miss die Dosis wenn möglich mit einem Messlöffel oder einer Dosierspritze ab!
Auswahl geeigneter Darreichungsformen
Kinder bevorzugen meist flüssige Arzneimittel (Saft, Suspension, Tropfen), Schmelztabletten oder Suppositorien, da das Schlucken fester Formen wie Tabletten oder Kapseln häufig schwierig ist. Die Adhärenz hängt wesentlich davon ab, wie „kindgerecht“ die Zubereitung ist.
- Geschmack und Textur entscheiden, ob und wie das Arzneimittel eingenommen wird. Bei unangenehmem Geschmack drohen Einnahmeverweigerung oder Erbrechen.
- Das Volumen flüssiger Darreichungsformen sollte den Möglichkeiten des Kindes angepasst sein (nicht zuviel auf einmal).
- Dosiergenauigkeit ist bei Kindern entscheidend. Verschiedene Darreichungsformen bieten unterschiedliche Präzision.
Beispiel: Ibuprofen als Suspension ist für Kleinkinder und Schulkinder besser geeignet als Tabletten. Dabei sollte auf die regelmäßige Umrührung und genaue Dosierung geachtet werden.
Off-Label-Use und pharmazeutische Verantwortung
Viele Arzneimittel sind nicht ausdrücklich für Kinder zugelassen – der sogenannte Off-Label-Use ist bei pädiatrischen Verordnungen häufig unvermeidbar. Hier besteht eine erhöhte Notwendigkeit zur Plausibilitätsprüfung, Nutzen-Risiko-Abwägung und genauen Dokumentation.
- Prüfe, ob das Arzneimittel für das Alter des Kindes zugelassen ist.
- Bei Off-Label-Use: Erkundige dich nach Studien- und Erfahrungswerten oder konsultiere anerkannte Leitlinien (z.B. Kinderarzneimittelkompendien).
- Setze dich bei Unklarheiten mit dem verordnenden Arzt in Verbindung, bevor du das Arzneimittel abgibst.
- Dokumentiere die Beratung und halte Rücksprache mit weiteren Gesundheitsberufen, wenn Unsicherheiten bestehen.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Medikationsfehler
Kinder reagieren häufig empfindlicher auf Nebenwirkungen und sind besonders anfällig für Medikationsfehler. Beobachte und thematisiere daher:
- Typische Nebenwirkungen des abgegebenen Arzneimittels. Informiere Eltern/Betreuungspersonen hierzu altersgerecht.
- Risiko von Überdosierung durch Dosierfehler. Wechsle Dosierhilfen aus, falls diese ungenau erscheinen!
- Notwendigkeit der Überwachung (z.B. Blutbildkontrollen bei Langzeittherapie mit Antiepileptika).
Achte auch auf für Kinder ungeeignete Hilfsstoffe wie Ethanol, Propylenglykol, Benzylalkohol oder bestimmte Konservierungsstoffe.
Beratung: Kompetenz zeigen – altersgerecht erklären
Das Beratungsgespräch richtet sich an Eltern/Begleitpersonen und, je nach Situation und Alter, auch an das Kind selbst. Wichtige Inhalte sind:
- Richtiges Abmessen und Verabreichen der Arzneiform (Demonstration von Dosierspritzen etc.).
- Hinweise auf notwendige Schüttelvorgänge bei Suspensionen.
- Tipps zum Einnehmen bei unangenehmem Geschmack (Mixen mit Apfelmus, aber nicht mit Milch für Tetracycline).
- Aufbewahrungshinweise (z.B. Zäpfchen im Kühlschrank).
- Informationen über Haltbarkeit (besonders bei selbsthergestellten oder angebrochenen flüssigen Zubereitungen).
- Klare Vorgaben zum Umgang mit vergessenen Dosen und zum Erkennen von Nebenwirkungen.
Achte auf offene Fragen und stelle sicher, dass alles verstanden wurde – gib ggf. eine schriftliche Kurzanleitung oder Dosierschema mit.
Interprofessionelle Zusammenarbeit und Überweisung
Viele schwierige Situationen bei Kinderrezepten lassen sich nicht allein in der Offizin lösen. In folgenden Situationen ist die interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig:
- Unsichere Dosierung bei exotischeren Substanzen oder Off-Label-Anwendungen.
- Verdacht auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die einer ärztlichen Kontrolle bedürfen.
- Auffälligkeiten wie plötzliche Verhaltensänderungen, Allergien, starke Nebenwirkungen.
Eine transparente und kollegiale Rückfrage beim Arzt oder der Ärztin sichert die Arzneimitteltherapie und gibt auch den Eltern Sicherheit.
Präventive Maßnahmen zur Arzneimittelsicherheit
- Meide, wenn möglich, Hilfsstoffe, die bei Kindern unerwünschte Wirkungen haben können.
- Achte bei Rezepturen auf möglichst kurze Haltbarkeit und valide Dosierungsangaben.
- Kläre genau ab, was bereits zu Hause vorhanden ist, um Doppelmedikation zu vermeiden.
- Halte ausreichend Informationsmaterial, Dosierhilfen und – falls erlaubt – kindgerechte Broschüren bereit.
Zusammenfassung
- Kinder benötigen eine passgenaue und altersgerechte Arzneimitteltherapie mit Berücksichtigung ihrer spezifischen Pharmakokinetik.
- Die Dosierung erfolgt meist gewichts- oder körperoberflächenbezogen und muss regelmäßig angepasst, genau gemessen und verständlich erklärt werden.
- Bevorzuge kindgerechte Darreichungsformen und achte auf Geschmack, Volumen sowie Dosiergenauigkeit.
- Die Beratung richtet sich an Eltern und Kinder, umfasst Anwendungshinweise, Dosierhilfen, Aufbewahrung und den Umgang mit Nebenwirkungen.
- Der Anteil an Off-Label-Use ist hoch – hier sind besonders sorgfältige Plausibilitätsprüfungen und enge Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen essenziell.
- Sensibilität für mögliche Medikationsfehler und Risiken (auch durch Hilfsstoffe) ist eine zentrale Aufgabe in der pharmazeutischen Betreuung von Kindern.
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